„Was ich mir wünsche: Gesundheit!“

Sandra ist 38, hat zwei Kinder und lebt seit 3 Jahren mit der Bedarfsorientierten Mindestsicherung. Ein anonymisiertes Kurzporträt von Gabi Horak.

944,84 Euro bekommen Sandra und ihre Kinder derzeit, hinzukommen Familienbeihilfe und Unterhaltszahlungen. Wohl fühlt sie sich dabei nicht. „Ich bekomm jetzt schon so lange so viel Geld vom Staat, da hab ich ein schlechtes Gewissen.“ Eine Alternative hat sie aber auch nicht. Seit dem Bachelor-Abschluss ihres Studiums ist sie arbeitslos und seit einem Dreiviertel Jahr so krank, dass sie es an manchen Tagen keine halbe Stunde ohne Hinlegen schafft. Wenn die Medikamente überhaupt helfen, dann erst nachmittags. Es hat viele Monate und zahllose Untersuchungen gedauert, bis sie im Jänner endlich Klarheit hatte und damit einen Befund, den sie dem AMS vorlegen konnte. Trotz der akuten Erkrankung muss sie bis zum nächsten Termin weiterhin aktiv Bewerbungen schreiben. Vorstellungsgespräche sind im Moment aber illusorisch. Tatsächlich gelingt es Sandra oft nicht einmal, ihren fünfjährigen Sohn aus der Kindergruppe abzuholen, dann schickt sie ihre 15-jährige Tochter. „Ich schreib halt Bewerbungen, obwohl ich weiß, dass es nicht geht.“

Dabei könnte alles noch viel schlimmer sein. Sandra lebt mit ihren Kindern in der Wohnung der Eltern, für die sie nur insgesamt 350 Euro Miete zahlt. Eine Mietwohnung am freien Markt? „Das wäre eine Katastrophe!“ Und auch für andere größere Anschaffungen ist sie auf die Mithilfe der Familie angewiesen. Wünscht sich die Tochter besondere Schuhe, wird zu Weihnachten zusammengelegt. Die Sprachreise im Herbst kostet 1.350 Euro. „Da müssen alle Omas mithelfen, sonst schaff ich das nicht.“ An größeren Urlaub ist nicht zu denken, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie das Land nicht verlassen kann, ohne die Mindestsicherung zu verlieren. Sandra schämt sich, möchte deshalb auch anonym bleiben. Auch ihre 15-Jährige kennt das Gefühl. Die Freundin aus einer Architektenfamilie wollte sie nicht einladen, weil sie deren tolles Haus kennt. „Mama, da schäm ich mich.“

Karenz und Krankheit statt Studium und Job

Geplant war das so nicht. Sandra hatte nach der Handelsschule mehrere Jahre in Bürojobs gearbeitet, hielt es in diesem Beruf aber nicht mehr aus. Während der Karenzzeit mit ihrer Tochter machte sie die Berufsreifeprüfung und arbeitet danach noch einige Jahre. Schließlich beantragte sie ein Selbsterhalterstipendium und begann mit dem Studium, das sie kurz nach der Geburt ihres Sohnes mit dem Bachelor abschließen konnte. Mit ihrem Partner war vereinbart, dass sie sich die Karenzzeit teilen, sie ihr Masterstudium weiterführt und dafür auf ihr Stipendium verzichtet. Es kam anders. Der Vater zog nach einem Jahr aus und ihr Sohn war in den ersten zwei Jahren so oft krank, dass sie kaum Univeranstaltungen schaffte. Dazu kamen erste Symptome ihrer eigenen Krankheit. „Da war ich lange blockiert, körperlich und psychisch am Ende.“ Und mit 35 Jahren war sie schließlich auch zu alt für das Selbsterhalterstipendium.

Damit ein Job, von dem sie ihre Familie ernähren kann, in Frage kommt, müsste Sandra zunächst gesund werden. Doch allein die Diagnose ihrer Krankheit war und ist ein Hürdenlauf. Im Oktober versuchte sie einen Termin in einem Wiener Spital zu bekommen zur Abklärung bei einem Facharzt. Sie hätte bis Februar warten müssen. „Mir ist es aber immer schlechter gegangen, da haben meine Eltern gesagt, sie geben mir zu Weihnachten Geld für einen privaten Arzt.“ Und dieser hat die notwendigen Untersuchungen dann erstaunlicherweise innerhalb von zwei Wochen organisieren können. Wer wenig Geld hat merkt schnell, wo die Defizite in unserem Gesundheitssystem liegen.

„Was mich aber am meisten an der Mindestsicherung stört ist das Hängematte-Klischee. Für mich ist es psychisch ziemlich belastend – die Abhängigkeit und Rechtfertigungsspirale.“ Da hört sie Sätze wie: „Warum hast du einen Kater, wenn du eh kein Geld hast?“ „Wozu hast du das Studium begonnen?“ „Was bist du für ein Vorbild für deine Kinder?“ Auch die private Abhängigkeit macht ihr zu schaffen und „der soziale Status ist ein Wahnsinn.“ Ihr Umfeld würde sich „mitschämen“ und „zum Teil G`schichtln für die Verwandtschaft erfinden“. „Ich bin die einzige in meinem Freundeskreis, die so lange schon Mindestsicherung bezieht. Bei einigen bin ich schon in der Kategorie Sozialschmarotzer gelandet.“

Was wünscht sich Sandra für sich und ihre Kinder? Gesundheit! Dass sie ihr Studium abschließen kann und einen guten Job findet. Sie würde ihre Kinder gerne in bessere Schulen schicken können, „wo sie kreativer sein können, im Garten buddeln.“ Und die Freiheit über ihr Leben zu bestimmen. „Die Kinder ins Auto packen und einfach losfahren können, auch über die Grenzen hinaus, ohne jemand Rechenschaft ablegen zu müssen.“

Veröffentlicht am 29.04.2016