Mindestsicherung bedeutet Hilfe

Außer sie wird verwehrt!

Lebensumstände, Sorgen und Nöte sind in der Realität vielfältig und unterscheiden sich auch dann enorm im Detail, wenn Notlage eine Gemeinsamkeit bildet. Bei finanziellen Notlagen und dem Fehlen anderer Unterstützungsmöglichkeiten kann auf Antrag durch Mindestsicherung Unterstützung zur Abdeckung des Lebensbedarfs gewährt werden. Aber nur nach genauer Prüfung der Anspruchsberechtigung und peniblen Kontrollen wird Mindestsicherung als pauschalierte, knapp bemessene Unterstützung befristet gewährt. Mindestsicherung hilft! Trotzdem scheint diese wichtige gesellschaftliche Funktion bei so mancher politischer oder medialer Diskussion in Vergessenheit zu geraten. Stattdessen überbieten sich Politiker_innen und Medien in ständig neuen Vorschlägen über Einsparungen, Kürzungen und Debatten über angeblichen Missbrauch. Die Lektüre der täglichen Medieninformationen löst bei vielen politisch Interessierten ungläubiges Kopfschütteln aus.

Soziale Organisationen und Beratungsstellen erleben täglich, wie durch eine finanzielle Minimalabsicherung neue Chancen für Hilfesuchende entstehen und wie Verelendung verhindert werden kann. Die Mitwirkungspflichten – von der Arbeit bis zum Einsatz von eigenem Einkommen – werden nicht in Frage gestellt. Vielmehr wird von Kritiker_innen oft unterstellt, dass Antragsteller nicht arbeiten wollen, sondern bequem die Mindestsicherung lukrieren. Als Vereinssachwalter_innen vertreten wir Menschen mit psychischen oder intellektuellen Beeinträchtigungen und im Rahmen dieser Tätigkeit sind wir oftmals für die Einkommenssicherung zuständig. Und damit für gemeinsamer Klärung der Voraussetzungen und notwendige Anträge auf Gewährung bedarfsorientierter Mindestsicherung. Hier bietet sich für uns ein ganz anderes Bild der Mindestsicherungsbezieher_innen: Es sind Menschen, die beispielsweise auf Grund einer Beeinträchtigung am Arbeitsmarkt wenig Chancen haben, deren Einkommen gering ist oder die aus ärztlicher Sicht einer Erwerbsarbeit nicht nachkommen können. Geringer Lohn und zu hohe Mieten sind meist die Gründe für die Ergänzungszahlungen in der Mindestsicherung, wenn also das eigene Einkommen aufgestockt werden muss, damit die Wohnungskosten bezahlt und die Lebenshaltungskosten bestritten werden können.

Auch Herr Fuchsmann (Namen und biographische Daten zur Wahrung der Rechte verändert) erhält monatlich bedarfsorientierte Mindestsicherung und könnte ohne diese Hilfe nur in größter Not überleben. Mit seinen 54 Jahren steuert Martin Fuchsmann nach drei Jahrzehnten Arbeit in einer Tischlerei bereits auf die Pension zu. Der Arbeitsplatz ist für ihn sehr wichtig und es war gar nicht so leicht, dass Herr Fuchsmann trotz seiner intellektuellen Beeinträchtigung und körperlichen Einschränkung eine Hilfstätigkeit am ersten Arbeitsmarkt gefunden hat. Gelegentlich und in Krisenzeiten waren weiterreichende Unterstützungen notwendig. Auch die Bestellung eines Sachwalters wurde angesichts der scheinbaren Überforderung bei den Finanzen angeregt. Bereits im Clearing wurde deutlich, dass ein Großteil der Probleme in der Nicht-Beantragung von Mindestsicherung und von Befreiungen liegt. Ohne passendes Angebot der Erwachsenensozialarbeit wurde dann doch eine Sachwalterin bestellt, die sehr rasch die nötigen Anträge einbrachte und die Finanzen auf solide, wenn auch bescheidene, Beine stellte. Herr Fuchsmann erhält eine Aufstockung seines geringen Einkommens durch bedarfsorientierte Mindestsicherung. Damit können die laufenden Kosten ohne neue Schulden abgedeckt werden. Herr Fuchsmann muss noch immer sehr sparsam mit den verbleibenden Mitteln für den Lebensbedarf, d.h. für Essen, Kleidung sowie Hygiene- und Verbrauchsartikel, umgehen. Auch ein Kinobesuch geht sich nun wieder aus. Nur mit der negativen Diskussion über Mindestsicherungs-Schmarotzer kann er so gar nichts anfangen und findet, dass die Hürden für die Leistung schon sehr hoch sind, jedenfalls so hoch, dass er lange keinen Zugang hatte.

Der Weg bis zur Gewährung bedarfsorientierter Mindestsicherung ist entgegen anderslautender Annahmen nicht einfach: genaue Bedarfsprüfung, vollständige Unterlagen, Antragstellung mit persönlicher Vorsprache, Wartezeiten bis zur Auszahlung, viele Formulare. Aber auch viele Voraussetzungen, die zunehmend verschärft werden, sind zu erfüllen. Ganz aktuell wird in vielen Bundesländern die Leistungsberechtigung für Drittstaatenangehörigen oder für Asylberechtigte in Frage gestellt oder werden diese Menschen bereits von der Sozialleistung ausgeschlossen.

So wie für Herrn Demirci (Namen und biographische Daten zur Wahrung der Rechte verändert), der seine kurdische Heimat vor über einem Jahrzehnt verlassen musste und nach Österreich geflohen ist. Sein Asylantrag wurde nach jahrelangem Warten abgelehnt, aber trotzdem rechtstaatlich korrekt eine Abschiebung auf Dauer für unzulässig erklärt. Jahrelange hatte Aram Demirci mit einfacher und gering entlohnter Arbeiten im Baugewerbe, wenn auch unregelmäßig, seinen Lebensunterhalt verdient. Daher folgten mehrfache Verlängerungen der befristeten Aufenthaltstitel. Eine schwere psychische Erkrankung führte zu mehrfachen stationären Behandlungen. Kein Einkommen mehr und viele gesundheitliche Sorgen durch die posttraumatische Belastungsstörung, die viele Jahre nicht behandelt wurde. Einfach ein Bündel vieler großer Sorgen! In dieser finanziellen Notlage stellte die in der Zwischenzeit vom Gericht bestellte Sachwalterin einen Antrag auf Gewährung von bedarfsorientierter Mindestsicherung. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass gemäß oö Mindestsicherungsgesetz ein Daueraufenthaltstitel als Voraussetzung erforderlich ist und dies – trotz mehrfacher Verlängerung auch bis zum Ende des Jahrzehnts – eben durch die Befristung nicht erfüllt sei. Rechtsmittel blieben bisher erfolglos. Die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit, in Ausnahmefällen und bei besonderer Härte die Mindestsicherung als Kann-Leistung zu gewähren, lehnte der Bezirkshauptmann trotz Vorsprache und guter Argumente ab. Kein Einkommen, keine Krankenversicherung, keine Perspektive. Bleibt noch die Hoffnung auf Klärung durch das Höchstgericht. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg.

Bedarfsorientierte Mindestsicherung muss eine Absicherung in finanziellen Notlagen bieten; nach menschenrechtlichen Kriterien und unter Berücksichtigung unabdingbarer Rahmenbedingungen. Es wird Zeit, dass das Augenmerk der Diskussion nicht mehr auf Neidaspekte gelegt wird, sondern wieder das grundsätzliche Ziel der Hilfe in den Mittelpunkt rückt.

Norbert Krammer, VertretungsNetz - Sachwalterschaft

Beitrag zuerst erschienen im Rundbrief der Sozialplattform OÖ im Oktober 2016

Veröffentlicht am 18.10.2016