Die vergessenen und verschwiegenen Probleme in der Sozialhilfe
Keine Soforthilfe, Schikanen für Menschen mit Behinderungen und Alleinerziehende, untragbare Wohnkosten, zu lange Entscheidungsfristen am Amt, Mängel im Vollzug...
(12.09.25). „Auf die vergessenen und verschwiegenen Probleme in der Sozialhilfe“, macht das Netzwerk Armutskonferenz aufmerksam. „Die Soforthilfe funktioniert nicht, es gibt keine klare Definition von Alleinerziehenden, die Wohnkosten sind nicht tragbar, Menschen mit Behinderungen wird ein selbstbestimmtes Leben verweigert, Entscheidungsfristen am Amt sind zu lange und es treten große Mängel im Vollzug auf. Wer von einer Reform der Sozialhilfe spricht, darf zu diesen Missständen und Problemen in den Bundesländern nicht schweigen“, kritisiert die Armutskonferenz das einseitige und unausgewogene Reden über das untere soziale Netz der letzten Monate.
Worüber geschwiegen wird:
1. Effektive Soforthilfe
Die Soforthilfe funktioniert nicht und ist weitgehend totes Recht. Notwendig wäre, eine effektive Soforthilfe sicherzustellen. Bei Bekanntwerden einer Notlage muss die Behörde von Amts wegen Hilfe leisten. Überbrückungshilfe sollte in Fällen, in denen Personen keinerlei sonstige Leistung erhalten, gewährleistet sein. Soforthilfe braucht es auch bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung.
2. Alleinerziehenden Richtsatz – einheitliche Definition „Alleinerziehende“
Derzeit gibt es keine einheitliche, für die Landesgesetzgeber verbindliche Definition, wer als Alleinerzieher gilt. In NÖ und OÖ beispielsweise entsteht die Situation, dass der Zuschlag für Alleinerziehende nicht mehr zusteht, wenn ein Kind das 18. Lebensjahr vollendet hat, obwohl für dieses Kind nach wie vor eine Unterhaltspflicht besteht und die finanzielle Situation des Haushalts sich oftmals noch verschärft. Besonders betroffen sind davon auch Eltern von Kindern mit Behinderungen. In die Sozialhilfe sollte eine verbindliche Definition des Begriffs „alleinerziehende Person“ aufgenommen werden, durch welche auch Konstellationen erfasst sind, in denen volljährige Kinder mit Alleinerziehenden in Haushaltsgemeinschaft leben.
3. Anrechnung des Wohnzuschusses, der Wohnbeihilfe
Der Wohnzuschuss / die Wohnbeihilfe wird nicht vom tatsächlichen Wohnaufwand, sondern vom Richtsatz abgezogen. Im Ergebnis führt dies dazu, dass die Hilfe suchende Person den Wohnbedarf von der Leistung, die zur Deckung des Lebensunterhalts bestimmt ist, finanzieren muss. Wird die Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts - wie in Niederösterreich prozentuell mit 60 % der Sozialhilfe angesetzt (statt wie in der Mindestsicherung mit 75 %) bleibt zum Leben fast nichts mehr. Die Wohnbeihilfe wird seit der Abschaffung der Mindestsicherung auf die Leistungen der Sozialhilfe angerechnet, also abgezogen. Hier ist eine Änderung des bundesweiten Grundsatzgesetzes insbesondere im Hinblick auf die steigenden Wohnkosten dringend erforderlich, damit den Ländern der notwendige Handlungsspielraum eingeräumt wird.
4. Unterhalt: Menschen mit Behinderungen
Menschen mit Behinderungen können gezwungen werden, ihre Eltern auf Unterhalt zu klagen – auch, wenn sie längst volljährig sind. In manchen Bundesländern werden längst volljährige Betroffene sogar gezwungen, ihren Eltern einen Teil der – oftmals geringen – Pensionsleistungen per Unterhaltsklage wegzunehmen. Menschen mit Behinderungen, die den Schritt aus der Wohneinrichtung in eine eigene Wohnung und damit mehr Selbstständigkeit wagen, bezahlen dafür häufig einen hohen Preis. In den meisten Bundesländern werden Geldleistungen (für den Lebensunterhalt und den Wohnbedarf) für Menschen mit Beeinträchtigungen nicht in der Behindertenhilfe, sondern in der Sozialhilfe geregelt. So lange ein Mensch mit Behinderung Wohnen, Verpflegung und Betreuung im Rahmen des vollbetreuten Wohnens in der Behindertenhilfe erhält, sind seine Eltern von Kostenbeiträgen befreit und bleiben seine Ersparnisse unangetastet. Zieht er in eine eigene Wohnung und wird zum Sozialhilfebezieher, muss er zunächst seine Ersparnisse verbrauchen und die eigenen Eltern auf Unterhalt, schlimmstenfalls klagsweise, in Anspruch nehmen. Damit entsteht ein Widerspruch zu Art 28 Abs 1 UN-Behindertenrechtskonvention, wonach eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen angestrebt werden soll. Die Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber Kindern mit Behinderungen sollte mit dem 25. Lebensjahr begrenzt werden. Damit muss auch die bestehende Verpflichtung enden, dass erwachsene Menschen mit Behinderungen ihre eigenen Eltern auf Unterhalt verklagen müssen.
5. Bürgerfreundlichen Vollzug gewährleisten
Mit guten Verfahrensbestimmungen kann man schnellere Hilfe und rechtliche Sicherheit ermöglichen.
- 1-monatige Entscheidungsfrist einführen. 3 Monate jetzt sind zu lang.
- Bei Anträgen auf Kann-Leistungen: Verpflichtung zur schriftlichen Entscheidung mit Begründung
- Bezieher, die vom Einsatz der Arbeitskraft ausgenommen sind (Alter, Krankheit, Behinderung, Betreuungspflichten, Pflegeaufgaben) haben Anspruch auf Jahresbescheid
Bürgerfreundlicher und niederschwelliger Zugang:
- Immer digitale und analoge Möglichkeiten der Antragstellung
- Übernahmebestätigungen bzw. Eingangsstempel von Amts wegen und nicht bloß auf Verlangen
- Bescheide nachvollziehbar und nach Möglichkeit in einfacher Sprache