SozialRechtsNetz erkämpft Sozialhilfe: Wohnkosten müssen auch für volljährige Kinder im gemeinsamen Haushalt bezahlt werden

SozialRechtsNetz unterstützt erfolgreiche Rechtsdurchsetzung

(10.12.2021) Herr Reiter ist Alleinerzieher mit vier Kindern und einkommensarm. Durch die schlechte Sozialhilfe wurde seinen beiden volljährigen Kindern der Wohnanteil unrechtmäßig gekürzt. Das SozialRechtsNetz konnte durchsetzen, dass für alle Kinder im gemeinsamen Haushalt die Wohnkosten in der Sozialhilfe berücksichtigt werden müssen.

Ausgangssituation Oberösterreich

Herr Reiter lebt in Oberösterreich (OÖ) im gemeinsamen Haushalt mit seinen drei Kindern. Der älteste Sohn ist 25 Jahre alt und auf Jobsuche beim AMS gemeldet. Die zweitälteste achtzehnjährige Tochter, sowie der jüngste, zwölfjährige Sohn besuchen noch die Schule. Die beiden ältesten Kinder sind bereits volljährig.

Auf Grund der Tatsache, dass nicht alle Kinder, mit denen der Vater im gemeinsamen Haushalt lebt, minderjährig sind, sprach das LvwG Oberösterreich aus, dass diesem kein Zuschlag für Alleinerzieher zustehe. Eine ähnliche Problematik besteht im Moment in Niederösterreich (Details hier nachlesen ).

Nach § 7 Abs 9 des OÖ Sozialhilfeausführungsgesetz (OÖ SOHAG) kann Personen, welche keine Aufwendungen zur Deckung des Wohnbedarfs für Miete, Betriebs und Energiekosten haben, die jeweils zustehende Sozialhilfe um 25 % gekürzt werden. Sowohl beim ältesten Sohn, als auch bei der zweitältesten Tochter, ging nun das Landesverwaltungsgericht OÖ davon aus, dass diese nicht von Wohnkosten belastet sind, weil sie bei deren Vater lebten. Zu diesem Schluss kam das Verwaltungsgericht, da beide Kinder nicht selbsterhaltungsfähig und daher dem Vater gegenüber unterhaltsberechtigt seien, und dieser daher für deren Wohnkosten zu sorgen habe. Im Ergebnis kürzte das Landesverwaltungsgericht OÖ daher dem ältesten Sohn EUR 160,54/Monat und der zweitältesten Tochter EUR 103,20/Monat an Mindestsicherung.

Einschätzung des SozialRechtsNetz

Die Argumentation des Landesverwaltungsgericht Oberösterreich wonach für unterhaltsberechtigte Kinder bei diesen keine Wohnkosten anfallen ist ungerecht.

Es dürfte allgemein bekannt sein, dass auch unterhaltsberechtigte Kinder Platz in der Wohnung benötigen. Solcher Wohnraum muss bezahlt werden. Die Kosten müssen daher jedenfalls voll getragen werden und es gibt keinerlei Unterstützung durch die Sozialhilfe. In dieser Situation, Kindern in finanziell schwachen Haushalten zu unterstellen, sie hätten keinerlei Wohnkosten, und Ihnen deshalb die Unterstützung zu verwehren, ist zynisch.

Das SozialRechtsNetz entschied sich daher in diesem Fall eine Erkenntnisbeschwerde an den Verfassungsgerichtshof zu unterstützen.

Verfassungsgerichtshof (VfGH) behebt Erkenntnis

Der VfGH erkannte, dass die Kürzung der Sozialhilfe auf Grund vermeintlich fehlenden Wohnaufwandes nicht gerechtfertigt sei. Die Entscheidung widerspreche daher dem Gleichheitsgebot und sei willkürlich (Erkenntnis des VfGH).

„Alleine aus der Tatsache, dass der Beschwerdeführer den gesamten Mietzins für die Wohnung überweist, kann nicht darauf geschlossen werden, dass die übrigen im Haushalt lebenden (volljährigen) Personen mit keinen Aufwendungen für den Wohnbedarf belastet wären. Hinzu kommt, dass die dem Beschwerdeführer gewährte Sozialhilfeleistung zur Befriedigung des Wohnbedarfs nur dessen eigenen Wohnungsaufwand deckt, nicht aber auch jenen seiner volljährigen Kinder, der in ihrem eigenen Richtsatz für in Haushaltsgemeinschaft lebende volljährige Personen berücksichtigt ist. Wie oben bereits dargestellt, wäre das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich gehalten gewesen, die wirtschaftliche Situation der gesamten Haushaltsgemeinschaft zu beurteilen. Eine solche Gesamtbeurteilung führt zu dem Ergebnis, dass entweder für alle Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft ein zu deckender Wohnbedarf vorhanden ist und/oder dass dieser (zumindest teilweise) anderweitig, zB durch Dritte, gedeckt wird. Aus den Feststellungen des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich ergibt sich jedoch unzweifelhaft, dass weder der Wohnbedarf des Beschwerdeführers noch der seiner Haushaltsgemeinschaft (von Dritten) gedeckt wird, sondern lediglich, dass der Beschwerdeführer für die Wohnung Mietkosten in bestimmter Höhe zu leisten hat.“ VfGH, 7.6.2020, E 3494/2020-20

Das Erkenntnis des Landesverwaltungsgericht OÖ wurde daher behoben und den beiden Kindern wird nun die ungekürzte Sozialhilfe nachgezahlt.

Zusammenfassung:

Der Fall zeigt einmal mehr: Das Land Oberösterreich kürzt bei finanziell bedürftigen Personen. Hier geht es nicht darum, Luxus in Haushaltsgemeinschaften zu finanzieren, sondern einen Teil der steigenden Wohnkosten durch die Sozialhilfe abzufedern. Besonders Familien, und hier gerade Familien mit Alleinerzieher*innen sind von den steigenden Wohnkosten besonders betroffen.

Leider wurde in anderen Fällen in Oberösterreich die Sozialkürzungspraxis bei Wohnkosten durch das Land Oberösterreich bestätigt (Details hier nachlesen ).

Im hier vorliegenden Fall erkannte der VfGH, dass die Kürzung der Sozialhilfe auf einer willkürlichen Auslegung des Oberösterreichischen Sozialhilfegesetzes beruht.

Das SozialRechtsNetz konnte durch die Unterstützung einer Erkenntnisbeschwerde durchsetzen, dass auch volljährigen Kindern im gemeinsamen Haushalt die Sozialhilfe ungekürzt zusteht.

Das SozialRechtsNetz unterstützt Menschen, denen Sozialleistungen verwehrt werden mit rechtlicher Expertise. Kontaktdaten finden Sie unter:

www.sozialrechtsnetz.at