SozialRechtsNetz bekämpft Abzug von Sozialhilfe aufgrund vermeintlicher familiärer Überbrückungshilfen

Aktueller Fall aus der Steiermark

(03.03.2021) Herr D lebt seit seinem vierten Lebensjahr in Österreich, er hat die Landwirtschaftsschule abgeschlossen, die Hochschulreife am Abendgymnasium konnte der bulgarische Staatsbürger noch nicht erlangen.

Seit 2016 bezieht Herr D Arbeitslosengeld und Mindestsicherung, daneben ist er immer wieder in einem Fitnessstudio beschäftigt. Nachdem er seinen Wohnsitz gewechselt hat und dadurch die Zuständigkeit der Behörden wechselt, beantragt er im Oktober 2019 abermals die Mindestsicherung neu. Die Behörde verweigert diesmal jedoch überraschend die Mindestsicherung, da Herr D keine Anmeldebescheinigung bzw Daueraufenthaltsbescheinigung vorlegen könne. Dagegen erhebt Herr D rechtzeitig Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG).

Entscheidung erst nach 9 Monaten Verfahrensdauer

Während das Beschwerdeverfahren anhängig ist, wird der Ausbildungslehrgang von Herrn D im März 2020 auf Grund der COVID-19 Krise verschoben. Er beginnt daraufhin eine Lehre. Da Herr D seit seiner Ablehnung in der Mindestsicherung im Oktober 2019 nicht über ausreichend Geld zum Leben verfügt, unterstützt ihn seine Mutter während dieser Zeit. Die Mutter, welche selbst Pension und Ausgleichszulage bezieht, musste sich dafür verschulden.

Im September 2020, nach 9-monatiger Verfahrensdauer, entscheidet schließlich das Landesverwaltungsgericht Steiermark, dass Herrn D Mindestsicherung zusteht. Begründend führt das LvwG aus, dass Herr D die Voraussetzungen für einen Daueraufenthalt für EWR-Bürger erfüllt.

Allerdings ging das LVwG in seiner Entscheidung davon aus, dass zwischen Herrn D und seiner Mutter eine Unterhaltspflicht besteht. Das LVwG rechnete daher die Zahlungen der Mutter als Unterhalt (zusätzlich zu den ohnehin erfolgenden Abzügen seines Lohnes und Arbeitslosengeldbezuges von der Mindestsicherung) auf die gewährte Mindestsicherung an, wodurch Herrn D insgesamt für ein Jahr ein Betrag von nur mehr ca. EUR 2300 an statt über EUR 8000 zugesprochen wird. Da seine Mutter ihn mit EUR 6300 unterstützt hat, bleibt Herr D auf einer Summe von EUR 4000 an Schulden sitzen, selbst wenn er die gesamte nunmehr ausbezahlte Mindestsicherung seiner Mutter zurückzahlt.

Auch der Einwand von Herrn D im Verfahren, dass es sich bei den Zahlungen seiner Mutter um ein Darlehen handelt und er dieses Geld wieder zurückbezahlen muss, wurde vom LVwG gänzlich ignoriert. Herr D wendet sich an die Caritas Steiermark, welche den Fall an das SozialRechtsNetz heranträgt.

Kritikpunkte

Gemeinsam werden insbesondere die folgenden Kritikpunkte erarbeitet:

  • Nachdem die Behörden Herrn D über ein Jahr lang (unrichtigerweise) keine Mindestsicherung ausbezahlt haben, wird ihm schließlich zum Verhängnis, dass seine Mutter ihn in diesem Zeitraum unterstützt hat.

  • Der Sozialausschuss des Steirischen Landtages wollte bei der Novelle des StMSG im Jahr 2014 explizit Unterhaltsforderungen, die nicht von einem Gericht festgelegt wurden, von der Pflicht zur Verfolgung durch die Antragsteller ausnehmen.

  • Folgerichtig bestimmt § 8 Abs 1 StMSG, dass Unterhaltsansprüche, die nicht von einem Gericht festgesetzt wurden, von den Antragsteller_innen grundsätzlich nicht verfolgt werden müssen.

  • Das LVwG traf keinerlei Feststellungen zur finanziellen Situation der Mutter von Herrn D, die als Pensionistin mit Ausgleichszulage nicht im Stande gewesen wäre die Unterstützungsbeträge selbst aufzubringen.

  • § 8 Abs 2 StMSG lautet: „Freiwillige Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege oder Leistungen, die von Dritten ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden, haben außer Betracht zu bleiben, es sei denn, diese erreichen ein Ausmaß oder eine Dauer, dass keine Leistungen nach diesem Gesetz mehr erforderlich wären.

  • Auch die Begründung der Unterhaltspflicht zwischen Mutter und Sohn im Urteil fiel insgesamt widersprüchlich aus.

  • Aufgrund der Vorgangsweise des LVwG wurde über den Anspruch des Herrn D für den Monat September 2020 überhaupt nicht abgesprochen.

  • Diese Unterstützung zieht das LVwG vom Anspruch Herrn D‘s ab. Woraus Herr D seinen Lebensunterhalt in diesem Zeitraum, in den auch die COVID 19 Krise fällt, hätte bestreiten sollen, ist unklar. Darüber hinaus bleibt der Mutter ein Teil der Schulden und sie wird durch diese Entscheidung ebenfalls unverschuldet in eine Notsituation gebracht.

Das SozialRechtsNetz unterstützt eine strategische Klagsführung, sodass Menschen in der Steiermark nicht-gerichtlich festgelegte, vermeintliche Unterhaltsansprüche nicht von der Mindestsicherung abgezogen werden können.

Das SozialRechtsNetz unterstützt Fälle, bei denen Menschen zu Unrecht Sozialleistungen verwehrt werden.