Keynotes auf der 15. Armutskonferenz

Dienstag, 28. April 2026, 11.00 – 13.00 Uhr

Nina VERHEYEN, Universität zu Köln
Der Leistungsglaube zwischen Ungleichheit und Emanzipation.Eine historische Spurensuche

Immer weniger Menschen glauben, in einer „Leistungsgesellschaft“ zu leben, in der statt der sozialen Herkunft die persönliche Leistung über Status entscheiden soll – aber warum glaubten sie dies früher? Der Vortrag beleuchtet diese Frage schlaglichtartig in historischer Perspektive seit dem 19. Jahrhundert. Dabei geht es ebenso um bürgerliche Arbeitsmoral, globales Wettbewerbsdenken und nationalstaatliche Prüfungsformen wie um die Geschichte von Arbeiter*innen- und Frauenbewegungen. Auch sie haben sich positiv auf Leistung bezogen. War das, rückblickend betrachtet, nur ein Fehler? Müssen wir Leistung als Orientierungsmarke abschaffen oder eher unser Verständnis davon reformieren?

Die Historikerin Nina Verheyen vertritt derzeit die Professur für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität zu Köln. Ihre Gebiete sind die Historische Emotionsforschung, die Geschichte von Demokratie und Diskussionslust sowie von Leistungskonstruktionen und Leistungserfahrungen im 19. und 20. Jahrhundert.


Christian NEUHÄUSER, TU Dortmund
Armut, Reichtum und der Kampf um eine solidarische Leistungserzählung

Es gibt ein Grundrecht auf Freiheit von Armut. Dieses Grundrecht ist gegenwärtig weltweit und auch in Europa grundsätzlich bedroht. Denn seine Berechtigung wird zunehmend in Frage gestellt. Der Kampf für dieses Grundrecht ist vor allem ein Kampf gegen Reichtum. Denn die gegenwärtige Reichtumskonzentration ist eine zentrale Ursache dafür, dass das Recht auf Freiheit von Armut und ein Leben in Würde ins Wanken gerät. Reichtumskonzentration bedeutet eine erhebliche wirtschaftliche und politische Macht. Dies verhindert humane Strukturreformen, faire Entlohnung und trägt zum gesellschaftlichen Rechtsruck bei. Dies vollzieht sich auch auf der symbolischen Ebene ideologischer Narrative. Ein Beispiel dafür ist die gegenwärtige Leistungserzählung, die unverdienten Reichtum als verdient und daher unantastbar darstellt. Der Kampf dagegen besteht jedoch nicht darin, die Leistungserzählung nur negativ zu bekämpfen. Wir brauchen einen sozialen und solidarischen Leistungsgedanken.

Christian Neuhäuser ist Professor für Praktische Philosophie an der TU Dortmund. Er arbeitet zu Theorien der Würde sowie Fragen des Eigentums und Reichtums aus gerechtigkeitstheoretischer Perspektive.