Wirkungsvolle Sozialhilfe statt immer weniger Unterstützung

In finanziellen Notlagen darf in einem Wohlfahrtsstaat auf staatliche Hilfe vertraut werden. Sozialstaatliche Versicherungssysteme wurden bereits im 19. Jahrhundert entwickelt. Absicherungen gibt es bei Arbeitslosigkeit, im Alter und bei Krankheit. Neben diesen allgemein anerkannten Hilfen besteht schon sehr lange die aus der Fürsorge entwickelte Sozialhilfe. Hier steht die Notlage im Vordergrund und nicht die Anspruchsberechtigung auf Grund der Zugehörigkeit zum Versichertenkreis.

Sozialhilfe ist daher viel stärker der aktuellen politischen Entwicklungen ausgesetzt. Damit steht diese Hilfe immer wieder im Brennpunkt der sozialpolitischen Diskussion, obwohl die quantitative Bedeutung – sowohl in Hinblick auf den Personenkreis, als auch auf die Ausgaben durch den Staat –im Verhältnis gering ist. Damit zeigt sich deutlich, dass es nicht um die Sozialhilfekosten, nicht um ungerechtfertigte Unterstützungen oder um Missbrauch geht, sondern um einen Ersatzschauplatz für den Angriff auf den Sozialstaat. Erste Zeichen sind schon lange sichtbar: Beispielsweise die Forderungen nach weniger Arbeitslosengeld, das Streichen der Notstandshilfe oder der jüngste Umbau der Mindestsicherung in eine schlechtere Sozialhilfe. Dadurch entsteht Druck auf sozialstaatliche Leistungen.

Corona-Pandemie erfordert starke Sozialhilfe

Die Entwicklung der Covid-19-Infektionen war Anfang April noch sehr unklar: Inzidenz-Daten steigen, regionale Hotspots erschweren eine verlässliche Einschätzung, die knappen Bettenkapazitäten bedrohen die medizinische Versorgung der Risikogruppen, Impfpläne stellen sich seit Monaten als zu optimistisch oder nicht einlösbar heraus. Die Arbeitslosenzahlen steigen noch moderat, es ist aber nach Ende der umfassenden Förderungsprogramme mit weiteren Arbeitssuchenden zu rechnen. Da weder das Arbeitslosengeld noch die Notstandshilfe armutsfest sind, muss gerade im Niedriglohnsektor bei Arbeitslosigkeit der Lebensbedarf oft durch Sozialhilfe/Mindestsicherung abgesichert werden. Ein Anstieg ist zu befürchten.Statt einen Ausbau der Leistungen voranzutreiben und den Zugang zu erleichtern, bleibt die Bundesregierung stur bei dem von der türkis-blauen Koalition 2019 beschlossenen Sozialhilfe-Grundsatzgesetz (SH-GG) und verpflichtet weiterhin die Bundesländer zur Umsetzung von Ausführungsgesetzen. Im Jahr 2020 setzten Niederösterreich und Oberösterreich als Vorreiter die reduzierten Leistungen mit Ausführungsgesetzen um. Salzburg, Kärnten und Vorarlberg folgten 2021, die Steiermark steht kurz bevor. Die Regelungen sind unterschiedlich, gemeinsam haben sie aber beispielsweise reduzierte Richtsätze, den Verzicht auf das Ziel der Armutsbekämpfung, den Ausschluss von Bevölkerungsgruppen wie z.B. Menschen ohne Meldeadresse oder teilweise subsidiär schutzberechtigte Menschen, die Einbußen im Wohnbereich und einige Zuschläge, die als Leistungsverbesserung beworben werden.

Die Richtsätze der Sozialhilfe werden vom ASVG-Ausgleichszulagenrichtsatz (netto) berechnet. Während früher in der Mindestsicherung jede im gemeinsamen Haushalt lebende, volljährige Person noch 75% des Richtsatzes erhielt, werden im SH-GG höchstens 70% zugestanden. Diese Berechnung reduziert sich ab der dritten leistungsberechtigten Person auf 45%! Dieses Berechnungsmodell führt zu Kürzungen – darauf war es von Anfang an ausgelegt.

Ein Beispiel

aus einer konkreten Berechnung des Sozialamtes: Ein Ehepaar (ein Pensionseinkommen, günstige Wohnung) verliert monatlich € 140,48. Jährlich sind das über € 2.200, die es nun vom Mund abzusparen gilt! Familien sollen besonders benachteiligt werden, da die türkis-blaue Regierung eine stark degressive Staffelung plante, die der Verfassungsgerichtshof nach Beschwerde der SP-Bundesräte noch vor Inkrafttreten des SH-GG als gesetzeswidrig aufhob. So konnte das Ärgste für die Kinder – und Familien – abgewendet werden.Die Bundesländer haben in den Ausführungsgesetzen bisher den so ermöglichten Spielraum sehr unterschiedlich genutzt: Vorarlberg berechnet 27 %, Nieder- und Oberösterreich 25 %, während Salzburg und Kärnten nur 21 % des ASVG-Richtsatzes für das erste Kind als Sozialhilfe gewähren. Niederösterreichs und Oberösterreichs degressive Berechnung und reduzieren sie kontinuierlich mit der Kinderanzahl. Der Richtsatz für das 4. Kind wird so auf 12,5 % gekürzt und halbiert damit die monatliche Unterstützung. Es wird ein Lotteriespiel für die Kinder, ob sie beispielsweise nur 12,5 % in Oberösterreich, oder einige Kilometer weiter 21 % in Salzburg erhalten. Ungerecht ist diese willkürliche Festlegung auf jeden Fall, vielleicht auch rechtlich nicht ganz sauber, wie von einigen Expert*innen die Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund eingestuft wird.

Sozialhilfe für Wohnkosten lässt Lücken

Im neuen SH-GG wird genau zwischen Leistungen für den Lebensunterhalt – nun 60% des Richtsatzes – und Wohnkosten mit 40% des Richtsatzes unterschieden. Gegenüber der Mindestsicherung ergibt sich dadurch eine Veränderung zu Lasten des Lebensunterhalts. Was auf den ersten Blick als Verbesserung für höhere Wohnkosten aussieht, ist in Wahrheit eine Reduktion. Im SH-GG gibt es sehr starre Höchstgrenzen für die Leistungen, während die Mindestsicherung – diese ist bis dato noch in Tirol, Wien und Burgenland in Kraft – Mindestleistungen garantiert. Dieser Logik folgend, gab es (oder gibt es in manchen Bundesländern) auch die Möglichkeit höhere Leistungen zu gewähren. Dies wurde in der Mindestsicherung auch genutzt. Das SH-GG sieht komplizierte Deckelungen vor: nicht nur für die Wohnkosten, sondern auch für Bedarfsgemeinschaften (175 % pro Haushalt als Höchstgrenze; natürlich wieder mit komplizierten Berechnungen und kleinen Ausnahmen). Es wird auch hier weniger. Das Grundsatzgesetz ermöglicht aber eine bis zu 30 % erhöhte Wohnkostenpauschale, sodass die Wohnkosten in Wohngegenden mit hohen Preisen – in den Erläuterungen wurde auf Innsbruck und Salzburg verwiesen – besser abgedeckt werden könnten. Salzburg macht von dieser Ausdehnung Gebrauch, indem es in einer Verordnung den höchstzulässigen Wohnaufwand (HWA) regelt und damit die Miethöchstgrenzen in den einzelnen Bezirken. Dennoch nutzt es nicht den gesamten Spielraum, sondern bleibt stets um einige Prozent unter den Möglichkeiten.

Wohnbeihilfe ist nun Einkommen

Das größte Problem für alle Bezieher*innen von Sozialhilfe – oder Sozialunterstützung, wie es nun einige Bundesländer bezeichnen – ist im Wohnbereich die volle Anrechnung der Wohnbeihilfe als Einkommen. Dadurch reduziert sich die monatliche Sozialhilfe manchmal um mehrere hundert Euro. Sozialberatungsstellen berichten bereits, dass unter diesen Vorzeichen im städtischen Bereich von hochpreisigen Mietgegenden der Erhalt bisheriger Mietverhältnisse gefährdet sein wird.Die Stadt Salzburg hat reale Berechnungen von Sozialunterstützung für verschiedene Familienkonstellationen vorgelegt, die genau auf diese Kürzungen eingehen: Die alleinerziehende Mutter eines minderjährigen Kindes mit AMS-Bezug und Unterhaltsvorschuss muss ebenfalls eine monatliche Kürzung von € 132,96 hinnehmen. Da die bisher in Salzburg ausbezahlten Kinder-Sonderzahlungen, jährlich € 385,28, ebenfalls gestrichen wurden, fehlen im Haushaltsbudget der Kleinfamilie rund € 2.000 im Jahr! Durch diese sogenannte „Sozialpolitik“, die das SH-GG propagiert, werden bewusst Not und manifeste Armut in Kauf genommen.Verschärft wird diese Situation durch die Notlage, die in manchen Familien in Folge der Corona-Pandemie entstanden ist: Kurzarbeit läuft teilweise aus, Kündigungen sind die Folge. Arbeitsprojekte werden nur ungenügend aufgestockt. Ein in den letzten Monaten entstandener Mietrückstand kann oft schwer abgedeckt werden, wenn Stundungen – auch wegen reduzierter Einkommen – nicht mehr genehmigt werden. Hilfen in besonderen Lebenslagen sind in der Sozialhilfe jedoch nur mehr sehr eingeschränkt – und nur bei laufendem Bezug – möglich.

Abgezogen werden alle Einkünfte – also mehr!

Für den Hausverstand ist es ganz einfach: Wenn ich Mindestsicherung oder Sozialhilfe beantrage, die ja nur in finanzieller Notlage gewährt werden kann, dann muss ich mein Einkommen einsetzen. In der rechtlichen Ausgestaltung und Umsetzung durch die Sozialverwaltung ist dies aber komplizierter und führt immer wieder zu Unklarheiten. Auch das SH-GG definiert dies sehr weit und schreibt die „Berücksichtigung von Leistungen Dritter und eigenen Mitteln“ vor. Im Gesetzestext, der in den Ausführungsgesetzen übernommen wurde, werden auch „sonstige Einkünfte“ angeführt. Dieser weitere Begriff umfasst Einkünfte aus Kapitalvermögen, also beispielsweise Zinsen, aber auch nicht näher definierte „Sonstige Einkünfte“ wie z.B. einen Verkaufserlös für den alten Kasten, Auszahlung von Guthaben von Abrechnungen etc. Einige Bereiche der Einkünfte werden in den Erläuterungen zu den Ausführungsgesetzen konkret angeführt, bei anderen ist dies immer wieder eine Interpretationsfrage. Die Sozialämter legen den Begriff erfahrungsgemäß eher weit aus.

Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit belegen diese großzügige Interpretation. Der Spielraum wird beim Vollzug der neuen Ausführungsgesetze – so jedenfalls der Eindruck – oft sehr eng ausgelegt und vorsichtshalber ein kleiner Betrag von der Sozialhilfe-Leistung abgezogen, statt auf die von den Antragsstellern formulierte Notlage einzugehen, wie Beispiele aus der Praxis zeigen:Über eine Verschärfung wird von der ARGE für Obdach-lose in Linz berichtet, da nun das geringe Einkommen für tageweise Mithilfe im Trödlerladen der ARGE zur Gänze als Einkunft eingestuft und somit von der Sozialhilfeleistung abgezogen wird.Ähnliches berichten Mitarbeiter*innen der Straßenzeitung „Apropos“ in Salzburg. Die Verkäufer*innen der Straßenzeitung müssen bei Sozialhilfebezug die Einnahmen aus dem Erlös des Verkaufs (die Hälfte des Verkaufspreises verbleibt der/dem Verkäufer*in – wie dies auch auf der Zeitung angekündigt wird) angeben. Die Reduktion der Unterstützung folgt umgehend.

Pflegegeld als Einkommen

In Oberösterreich und in Salzburg wird durch die Ausführungsgesetze weiterhin an der Anrechnung des Pflegegeldes, das die/der Pflegegeld-Empfänger*in an die/den Familienangehörige*n für die Pflegeleistung weitergibt, festgehalten. Während fast alle Bundesländer nun darauf verzichten, werden pflegende Angehörige in diesen beiden Bundesländern weiter stark benachteiligt. Da das Haushaltseinkommen der Familie in Folge ebenfalls beträchtlich sinkt, erleiden alle Personen – und auch die pflegebedürftigen Menschen – erhebliche Nachteile. Eine dringende Reform – die ja möglich und jüngst auch in Vorarlberg umgesetzt wurde – ist erforderlich.

Mehr als kleine Reparaturen sind nötig

Seit nun fast fünf Jahren wird von vielen Institutionen und Interessensvertretungen auf die Mängel des zweiten Sozialen Netzes aufmerksam gemacht. Durch die angekündigte „Sozialhilfe-Reform“ der türkis-blauen Koalition und dem beschlossenen Sozialhilfe-Grundsatzgesetz wurden die Defizite größer und die Hilfe kleiner, es wird immer unübersichtlicher und hilft den Menschen weniger. Ein weiteres Aufzeigen von Fehlern und Nachteilen kann nur der Aufbereitung einer großen Reform dienen, die dringend erforderlich bleibt.Im Mittelpunkt muss wieder die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung stehen. Dies muss Hand in Hand mit Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit erfolgen. Leistungen zur Bekämpfung der Notlagen müssen allen in Österreich lebenden Menschen zur Verfügung stehen. Abzusichern ist die selbstbestimmte Teilhabe für alle Menschen.

Norbert Krammer, VertretungsNetz
Ursprünglich erschienen im Rundbrief der Sozialplattform Oberösterreich 03/2021
Veröffentlicht am 27. Apirl 2021