Das Grundrecht auf eine menschenwürdige Zukunft

Das Erkenntnis des Deutschen Verfassungsgerichts zum Umweltschutz

umwelt-und-gerechtigkeit

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, Deutschland hat entschieden, dass das Deutsche Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) nicht ausreicht, um die internationalen Klimaziele für die Zeit nach 2030 zu erreichen (siehe Details hier). "Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030,“ und würden daher die Freiheiten zukünftiger Generationen – und damit das Recht auf eine menschenwürdige Zukunft – verletzen.

Verantwortung für zukünftige Generationen

Das Erkenntnis bezieht sich vor allem auf Art 20a Grundgesetz „der Staat schützt auch in Verantwortung für zukünftige Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen ...“. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts wird dieses Ziel durch die Emissions-Reduktionen, die das Klimaschutzgesetz vorsieht, verfehlt. Zu den Kläger*innen im Verfahren gehört die 22-jährige Sophie Backsen, deren Wohnort auf der Nordseeinsel Pellworm durch die Klimakrise bereits jetzt verändert wird. „Wirksamer Klimaschutz muss jetzt beginnen und umgesetzt werden - nicht erst in zehn Jahren,“ meint Backsen (siehe Details hier) in Reaktion auf das Erkenntnis.

Das Verfassungsgericht verpflichtet die Bundesregierung in Berlin dazu, die Emissionsziele stark nachzubessern, weil „jede Tonne CO2, die wir heute ausstoßen, schränkt den CO2-relevanten Freiheitsgebrauch“ für die nächsten Generationen ein (186). Das bemerkenswerte und zukunftsweisende Erkenntnis schafft, wenn man so möchte „ein Recht auf Zukunft“ bzw. ein „Grundrecht auf menschenwürdige Zukunft“ (114). Der Bundesverfassungsgerichtshof hält fest, dass durch heutige Entscheidungen zukünftige Entwicklungen mit entsprechenden Auswirkungen auf Lebensgrundlagen und damit verbunden Freiheiten, beeinflusst werden. Dabei betonen die Richter*innen die dynamische Dimension des Klimawandels: Je weiter dieser fortschreitet, umso mehr Gewicht bekommt das Klimaschutzgebot gegenüber anderen (grundrechtlichen) Interessen.

Verpflichtung Lebensbedingungen zu gewährleisten

Die Beschwerdeführer*innen hatten geltend gemacht, dass das Menschenwürdeprinzip eine Verpflichtung enthält, Lebensbedingungen zu gewährleisten, die Freiheitsrechte, aber auch demokratische Teilhabe auch in Zukunft möglich machen müssen (61-63). Ein „ökologisches Existenzminimum“ bzw. „Recht auf eine menschenwürdige Zukunft“ (38) kann nicht allein durch ökonomische Sicherung gewährleistet werden, weil der Klimawandel radikal andere Bedingungen schafft (114). Das Erkenntnis schafft auch eine Grundlage für die „Langzeitperspektive“, die politische Entscheidungen berücksichtigen müssen. Das beinhaltet ab sofort auch ein stark erweitertes Verständnis von Freiheit: neben materiell und physisch verbrauchbaren Freiheiten, auch zukünftige Handlungsspielräume.

Das Bundesverfassungsgericht nimmt die internationalen Verpflichtungen, allen voran das Pariser Klimaabkommen, als Maßstab für stärkere Emissionskürzungen. Das Pariser Abkommen macht unter anderem deutlich, dass unzureichende Maßnahmen gegen den Klimawandel Armut verstärken und betont die Verschärfungen sozialer Ungleichheit. Die potenziellen gesellschaftspolitischen Verwerfungen einer solchen Entwicklung greift auch das Bundesverfassungsgericht auf.

Forderungen für Österreich

Ähnlich wie das Erkenntnis der Richter*innen in Karlsruhe zu Sozialmaßnahmen (siehe Details hier) ist auch dieses Urteil für den österreichischen Verfassungsgerichtshof technisch schwer zu bewerkstelligen. Dem österreichischen Grundrechtskatalog fehlt eine Bestimmung zur „Verantwortung für zukünftige Generationen,“ wie auch eine Verankerung von Grundrechten zur Gewährleistung sozialer Sicherheit und menschenwürdigen Lebensgrundlagen. Umso brennender das Anliegen, dass die Regierung ihr Vorhaben aus dem Regierungsprogramm, den Grundrechtskatalog zu erweitern, rasch umsetzt. Die Armutskonferenz hat mit dem Entwurf eines Verfassungsgesetzes zu sozialer Sicherheit (siehe Details hier) bereits einen Vorschlag gemacht.

Marianne Schulze, SozialRechtsNetz
Veröffentlicht am 14.06.2021


Aviso: Die 13. Armutskonferenz von 23. bis 25. Mai 2022 in St. Virgil / Salzburg, wird sich mit Klimagerechtigkeit beschäftigen, also dem Zusammenspiel von Klima, Ökologie, Sozialpolitik und Armut. Bitte vormerken.