Verfassungsgerichtshof: Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz ist zum Teil verfassungswidrig
Die im Vorfeld stark kritisierte Neuregelung der Sozialhilfe (zuvor Mindestsicherung) war aufgrund eines Drittelantrags der sozialdemokratischen Fraktion im Bundesrat vom Verfassungsgerichtshof auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüft worden. Der VfGH hat dabei in seinem Erkenntnis vom 12.12.2019 (GZ G164/2019 ua) unbotmäßigen Leistungskürzungen für Kinder und überbordenden Bemühungspflichten Grenzen gesetzt.
Eine klare Aussage hat der Gerichtshof zur geringen Leistung für minderjährige Kinder ab dem 3. Kind getroffen: „Der aus dem Höchstsatz nach § 5 Abs. 2 Z 3 lit. c SH-GG resultierende Betrag ist bei Einhaltung der Zweckwidmung einer gemäß § 1 iVm § 5 SH-GG geforderten Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts und Befriedigung des Wohnbedarfs nicht mehr ausreichend.“ (Rz 85). 5 % der Ausgleichszulage (aktuell 45,87 €) monatlich pro Kind sind also – wenig überraschend – zur Existenzsicherung zu wenig. Auch diesmal verwies der VfGH in seiner Begründung auf das Verfassungsgesetz über die Rechte von Kindern, welches durch die geringe Leistung verletzt wurde. Dem Kinderrechte-Verfassungsgesetz kommt damit für die Rechtsprechung des VfGH im Sozialhilferecht immer größere Bedeutung zu. Die Bundesländer haben nun in den Ausführungsgesetze bei der Höhe der Leistung für minderjährige Kinder freie Hand.
Eine deutliche Absage erteilte der VfGH auch ausufernden Bemühungspflichten für Nicht-österreicher*innen durch den verpflichtenden Nachweis von Sprachkenntnissen auf Niveau B 1 (Deutsch) oder C 1 (Englisch) zum vollen Bezug der Sozialhilfe: „Der Grundsatzgesetzgeber hat in § 5 Abs. 6 bis 9 SH-GG schon deshalb eine unsachliche Regelung getroffen, weil keine Gründe ersichtlich sind, weshalb ausschließlich bei Deutsch- und Englischkenntnissen auf diesem hohen Niveau eine Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt anzunehmen sein soll.“ (Rz 105).
Das Erkenntnis ist aber auch noch in anderer Hinsicht relevant: Der VfGH lässt dem Ausführungsgesetzgeber in vielen Bereichen einen weiteren Spielraum als es ursprünglich zu vermuten gewesen wäre, z.B. bei der Gewährung unbefristeter Leistungen oder bei der Festlegung von anrechnungsfreiem Einkommen. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesländer diesen Spielraum im Sinne der Armutsprävention nutzen werden.
Alexander Leitner, Rechtsberater bei der Caritas
Veröffentlicht am 5.3.2020