Bittsteller und Almosenempfänger*innen – damit sich Leistung wieder lohnt?

Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz wurde bereits im Begutachtungsverfahren von unzähligen Organisationen heftig kritisiert. Ein Kommentar.

Damit läutet die ÖVP-FPÖ-Koalition die Rückkehr der Sozialpolitik des 19. Jahrhunderts ein. Bezieher*innen von Sozialhilfe müssen künftig wieder um die finanziellen Mittel zur Abdeckung des Lebensnotwendigsten bitten und betteln, Hürden überwinden und Unsicherheiten in Kauf nehmen.

Für die Tüchtigen und Fleißigen

Als Ziel des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes wird „insbesondere die (Wieder-) Eingliederung von Bezugsberechtigten in das Erwerbsleben“ definiert, um „die optimale Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes weitest möglich [zu] fördern“. Sozialhilfe können zukünftig Menschen beziehen, die in eine soziale Notlage geraten sind und „bereit sind, sich in angemessener und zumutbarer Weise um die Abwendung, Milderung oder Überwindung dieser Notlage zu bemühen“.

So die grundsätzlichen Überlegungen der Bundesregierung. Armutsvermeidung oder gar das Beseitigen von Armut wird nicht mehr als Ziel gesehen. Sozialhilfe ist nur ein Beitrag zu den Lebenshaltungskosten, ein Gewähren, nahezu ein Almosen.

Für die einzelnen Menschen, die auf diese Sozialleistung angewiesen sind, bedeutet das, den Gürtel deutlich enger zu schnallen. Denn mit der Sozialhilfe werden geringere Leistungen festgelegt, die laut Zielbestimmung nur noch einen Beitrag zur Unterstützung darstellen. Das bedeutet, dass plötzlich nicht mehr vom Mindesten für ein menschenwürdiges Leben als Maßstab ausgegangen wird, sondern eben von einem Höchstbetrag, den der Staat maximal bereit ist, zur Verfügung zu stellen und damit Armut auch gar nicht mehr bekämpfen will.

Die Sozialhilfe soll zukünftig so viel wie möglich als Sachleistung gewährt werden, wodurch die selbstbestimmte Verwaltung von Geldleistungen fast verschwindet. Beispielsweise sollen die Mietkosten für eine*n Sozialhilfe-Empfänger*in direkt an die/den Vermieter*in überwiesen werden. Die Beschämung der Hilfeempfänger*innen durch öffentliche Darstellung der Notlage kehrt zurück. Dieser Prozess hat bewusst durch den gewählten Retro-Begriff Sozialhilfe begonnen und wird im Grundsatzgesetz fortgesetzt.

Was, wenn die Notlage Alltag ist?

Menschen mit Beeinträchtigungen steht oft kein bezahlter und sozialversicherter Arbeitsplatz zur Verfügung, sondern Leistungen werden mit Taschengeld „abgegolten“. Da konnte mit Unterstützung von Mindestsicherung doch noch ein halbwegs selbstbestimmtes Leben finanziert werden – ganz im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK).

Der Wechsel zur Sozialhilfe ist für diese Personengruppe ein Schlag ins Gesicht, denn für viele Menschen mit Beeinträchtigungen ist die sogenannte Notlage kein vorübergehender Zustand, sondern Alltag. Auch wenn die Bundesregierung bemüht war, Ausnahmebestimmungen für Menschen mit Behinderungen vorzusehen.

Für die aufgrund der Beeinträchtigung entstehenden höheren Lebensführungskosten, ist ein Zuschuss als Ergänzung der Sozialhilfe-Leistung vorgesehen. Vorausgesetzt, es gibt nicht ohnehin bereits Leistungen der Länder für den „damit verbundenen Sonderbedarf“, wie dies bisher beispielsweise in Oberösterreich oder Wien der Fall ist. Grundsätzlich ist der Zuschuss an eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 Prozent und damit an den Zugang zum Behindertenpass gebunden. Für Menschen mit psychischen Erkrankungen eine neue Hürde.

Für therapeutische Wohngemeinschaften gibt es nach Protesten im Begutachtungsverfahren doch die nötige Ausnahme und damit die Regel-Leistung. Sehr wichtig für Menschen mit Beeinträchtigung ist die Festlegung, dass die Familienbeihilfe nicht als Einkunft die Leistung schmälert.

Dennoch täuscht all das nicht darüber hinweg, dass das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz plötzlich Menschen mit Beeinträchtigungen Begrenzungen durch Höchstleistungen unterwirft, statt die Bedarfe und deren Abdeckung in den Mittelpunkt zu stellen. Unschwer ist zu erkennen, dass mit dem Gesetz v.a. Asylberechtigte vom Leistungsbezug ausgeschlossen werden sollen und der Druck auf den Einsatz der Arbeitskraft erhöht wird.

So werden beispielsweise 35 Prozent der Sozialhilfe-Leistung von der Vermittelbarkeit am österreichischen Arbeitsmarkt abhängig gemacht. Auch hier gibt es eine Ausnahmebestimmung für Menschen mit Beeinträchtigungen, die aber an die schwierig erreichbare Definition der Invalidität und damit die dauerhafte Einschränkung geknüpft ist.

Mit dem Sozialhilfe-Grundsatzgesetz verdeutlicht die Bundesregierung, dass die Selbstbestimmung und die dauerhafte Absicherung der notwendigsten Lebensgrundlagen nicht länger Ziel bleiben. Auch nicht für Menschen mit Behinderungen. In dem Wissen, dass Menschen mit Beeinträchtigungen ohnehin bereits einem deutlich höheren Risiko der Armutsgefährdung ausgesetzt werden, ist dieser sozialpolitische Rückschritt alarmierend.

Dieses Bundesgesetz ist ein deutlicher Abschied von einer solidarischen Gesellschaft, in der gegenseitige Unterstützung das oberste Gebot ist. Nur noch Leistungen am Arbeits- und Kapitalmarkt und jene, die sie erbringen, zählen. Alle anderen müssen bitten und hoffen, dass ihnen zumindest eine grundlegende Versorgung mit dem Notwendigsten zugestanden wird.

Selbstbestimmung und Armutsbekämpfung rücken damit in eine entfernte Zukunft – mit anderen, besseren Gesetzen.

Von Norbert Krammer (VertretungsNetz)

Ursprünglich erschienen auf www.bizeps.or.at

Veröffentlicht am 03.04.2019