Still & heimlich 2: NÖ führt gesetzliche Basis für sektorale Bettelverbote und eine "Bettlerdatei" ein

"Aufsichtsorgane" sollen Einhaltung überwachen

Schon bislang war es in NÖ verboten, aufdringlich, aggressiv, gewerbsmäßig, organisiert oder mit Kindern zu betteln. Zusätzlich können niederösterreichische Städte und Gemeinden nun durch eine Ende September im Landtag beschlossene Änderung des NÖ Sicherheitspolizeigesetzes auch sektorale Bettelverbote erlassen. Damit wird es Städten und Gemeinden ermöglicht, in bestimmten Zonen bzw. zu bestimmten Zeiten (z.B. an Markttagen) auch das stille Betteln zu verbieten. Überwacht werden soll die Einhaltung des sektoralen Bettelverbots nicht durch die Polizei, sondern durch „Aufsichtsorgane“ der jeweiligen Stadt bzw. der Gemeinde, die mit umfangreichen Kompetenzen ausgestattet werden – bis hin zur Festnahme, dem Erheben von Geldstrafen und dem Beschlagnahmen von Gegenständen. Assoziationen an die „Asozialen“ und „Vagabunden“ -Erfassung autoritärer Regime in Vergangenheit und Gegenwart weckt ein nach oberösterreichischem Vorbild konzipiertes „Informationsverbundsystem“, im dem künftig u.a. Identitäts-, Adress- und Kontaktdaten sowie Fotos bettelnder Personen erfasst werden sollen.

Nach Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg hat nun auch der NÖ Landtag mittels eines entsprechenden Passus im NÖ Polizeistrafgesetz die gesetzliche Voraussetzung dafür geschaffen, dass Städte und Gemeinden in NÖ sektorale Bettelverbote erlassen können. Damit wird es möglich, räumlich bzw. zeitlich eingeschränkt auch das stille Betteln zu verbieten. Die Strafdrohung bei Zuwiderhandeln: Geldstrafen von bis zu 1.000 €, im Fall der Uneinbringlichkeit bis zu 2 Wochen Ersatzfreiheitsstrafe.

Ein grundsätzliches Verbot des stillen Bettelns ist in Österreich gleichheits- und damit verfassungswidrig. Das hat der Verfassungsgerichtshof im Jahr 2012 unmissverständlich klargestellt und die absoluten Bettelverbote in der Steiermark, Salzburg und Kärnten gekippt. Gleichzeitig hat der Verfassungsgerichtshof festgehalten, dass Ausnahmen unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sind: Ein Verbot des stillen Bettelns ist immer dann verfassungskonform, wenn die Nutzung des öffentlichen Raums für Nicht-Bettelnde derart erschwert wird, dass ein Missstand vorliegt, indem etwa die Zahl der still bettelnden Personen die Nutzung des öffentlichen Raums für andere massiv erschwert. Dass sich jemand gestört fühlt, reicht jedenfalls für das Vorliegen eines Misstandes nicht aus.

In Reaktion auf die Judikatur des VfGH haben mehrere Bundesländer in einer Art förderalem Dominoeffekt in ihren Landes- bzw. Sicherheitspolizeigesetzen Vorkehrung dafür getroffen, dass Städte und Gemeinden sektorale Bettelverbote erlassen können, mit denen absolute Bettelverbote zumindest zeitlich wie räumlich begrenzt verhängt werden können. Sektorale Bettelverbote gibt es derzeit jedenfalls in Landeshauptstädten Salzburg, Linz, Innsbruck, Bregenz, und auch in Eisenstadt (obwohl im burgenländischen Landespolizeistrafgesetz überhaupt keine Bettelverbote vorgesehen sind) und anderen Städten. Der Bürgermeister der NÖ Landeshauptstadt St. Pölten hat laut Medienberichten angekündigt, von der Möglichkeit sektoraler Bettelverbote keinen Gebrauch machen zu wollen: Man finde mit den bestehenden Bettelverboten das Auslagen, sektorale Bettelverbote würden nur zu einer geographischen Verlagerung führen.

Ob die konkreten Bestimmungen für sektorale Bettelverbote in den jeweiligen Landesgesetzen einer neuerlichen Überprüfung vor dem Verfassungsgerichtshof standhalten werden, ist fraglich. Denn für den Verfassungsgerichtshof muss ein Missstand konkret gegeben sein, um auch das stille Betteln verbieten zu können. Laut den mehr oder weniger gleichlautenden Formulierungen in den Landes- bzw. Sicherheits-Polizeigesetzen der Bundesländer reicht es schon aus, dass ein Missstand zu befürchten steht.

In zweierlei Hinsicht unterscheidet sich das NÖ Polizeistrafgesetz gemeinsam mit dem offensichtlich als Vorbild dienenden OÖ Polizeistrafgesetz allerdings von den Regelungen in Salzburg, Tirol und Vorarlberg. Zum einen ist in NÖ und OÖ (nicht ausschließlich) die Polizei für die Überwachung der Einhaltung sektoraler Bettelverbote und Sanktionierung allfälliger Verletzungen zuständig – die Gemeinden können dafür eigene „Aufsichtsorgane“ schaffen und einsetzen, die so vorzugehen haben, dass „jedes unnötige Aufsehen tunlichst vermieden“ wird. Zum anderen erlauben beide Gesetze die Schaffung eines „Informationsverbundsystems“, in dem von Gemeinden, Bezirksverwaltungsbehörden, Landesregierung und Landespolizeidirektion umfassende Informationen über bettelnde Menschen gesammelt und eingesehen werden dürfen. Zweck dieser „Bettlerdatei“ laut Erläuterungen zur NÖ Gesetzesnovellierung: Sie soll insbesondere dabei helfen, die Gewerbsmäßigkeit des Bettelns im Strafverfahren nachzuweisen. Auch diese „Informationsverbundsysteme“ scheinen einer Überprüfung durch die Höchstgerichte wert.

Zur Novellierung des NÖ Polizeistrafgesetzes zwecks Einführung einer Verordnungsermächtigung für sektorale Bettelverbote gab es kein BürgerInnen-Begutachtungsverfahren, weshalb sie für viele Mitglieder der Zivilgesellschaft überraschend kam. Die Änderung wurde mit den Stimmen der Abgeordneten der ÖVP, SPÖ, FRANK, FPÖ angenommen, abgelehnt wurde sie von den GRÜNEN.

Das novellierte NÖ Polizeistrafgesetz zum Nachlesen:
http://www.landtag-noe.at/service/politik/landtag/LVXVIII/07/787-1/787-1.htm

Veröffentlicht am 3.10.2016