Nicht wegschauen: Über 100 kenntnisreiche Begutachtungen zu Problemen und Folgen des Sozialhilfegesetzes

Genau hinschauen: Vorliegendes Sozialhilfegesetz macht uns zu Bittstellern, wenn wir in soziale Not kommen - statt Existenz und Chancen zu sichern.

(17.01.2019) „Wegschauen hilft nicht“, weist die Armutskonferenz auf die über hundert kenntnisreichen und genauen Begutachtungen der vorgelegten Sozialhilfe hin. Die in der Armutskonferenz zusammengeschlossenen Initiativen begleiten und betreuen 500.000 Menschen im Jahr. „Wir wissen, was Maßnahmen anrichten können. Im Alltag. Konkret. Real.“ Wohnungslosenhilfe Vorarlberg, Schuldenberatungen, Frauenhäuser, Österreichischer Behindertenrat, Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, Bundesweites Netzwerk Offene Jugendarbeit, Caritas, Diakonie, Dowas Innsbruck, InterACT und Menschen mit Armutserfahrungen, Katholischer Familienverband, Samariterbund, Lebenshilfe, Mädchen- und Frauenberatungsstellen, Wohnungslosenhilfe NÖ, NEUSTART, pro mente austria, Rotes Kreuz, SOS Kinderdorf, Volkshilfe, Vertretungsnetz und viele mehr weisen auf große Probleme und negative Folgen des Entwurfs hin:

  • Besonders problematisch ist der Wegfall der Vorgabe, dass Entscheidungen am Amt maximal drei Monate dauern dürfen. So wird Soforthilfe unmöglich und Ämterwillkür Tür und Tor geöffnet. Auch die Verpflichtung, schriftliche Bescheide auszustellen, ist gestrichen.
  • Die alte Sozialhilfe ist zurück, aber schlimmer und in Zukunft nach Bundesland zerstückelter als sie es je war. So ist keine Vereinheitlichung möglich.
  • Es gibt keine Mindeststandards mehr, sondern nach unten ungesicherte Kann-Leistungen. Die Leistungshöhen, das Wohnen, Hilfen für alleinerziehende Eltern und Menschen mit Beeinträchtigungen – all das sind „Kann“-Bestimmungen.
  • In der Zusammenschau mit der Beschneidung der Leistungen der Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosengeld und Notstandshilfe) bedeutet das, dass stärker sozialstaatliche, statussichernde Leistungen in mehr „almosenhafte“, paternalistische Fürsorge überführt werden.
  • Eine Fürsorgeleistung mit weniger Rechten und großen Vollzugs-Spielräumen ist auch immer stärker mit Stigmatisierung und Abwertung verbunden. Soziale Rechte haben viel mit Würde zu tun.
  • Eine Deckelung der möglichen zusätzlichen Leistungen für das Wohnen. Selbst bei Ausschöpfung der vorgesehenen maximalen Überschreitung um 30 % des Wohnkostenbeitrags deckt das nicht die realen Wohnkosten in Teilen Österreichs, besonders in den Städten, ab.
  • Zusätzlich gibt es einen generellen Deckel, der für alle Erwachsenen im Haushalt gilt und Menschen mit Behinderungen oder pflegende Angehörige treffen kann.
  • Die Regelung, dass Personen nur bei vor dem 18. Geburtstag begonnenen Ausbildungen unterstützt werden, verunmöglicht eine nachhaltige Unterstützung und Hilfe zur Selbsthilfe. Tirol beispielsweise ermöglicht Ausbildungen bis zur Höhe des Pflichtschulabschlusses bzw einer Lehre darüber hinaus.
  • Regress und verschärfter Unterhalt in allen Bundesländern werden möglich
  • Krankenversicherung ist nicht im Gesetz verankert
  • Die Deckelung der Leistung innerhalb einer Wohngemeinschaft wirkt existenzgefährdend. Im Bereich Menschen mit Behinderung und auch der Wohnungslosenhilfe werden Plätze in Wohngemeinschaften angeboten, um Selbständigkeit zu ermöglichen und förderliche sozialtherapeutische Angebote zu schaffen.
  • In bestimmten Fällen kann die direkte Überweisung beispielsweise der Miete sinnvoll sein, z.B bei einer Suchterkrankung oder einer psychischen Krise – aber als zu begründende Ausnahme, wie es in der jetzigen Mindestsicherung auch geregelt ist. Pauschal angeordnete Sachleistungen hingegen bedeuten weniger Selbständigkeit. Zum einen stellt es eine Entmündigung von armutsbetroffenen Personen dar. Zum anderen kann es für viele eine starke Stigmatisierung bedeuten, da der Vermieter somit erfährt, dass sein Mieter Sozialhilfe bezieht.

Starke negative Effekte werden bei der Wohnsituation sichtbar, wissen wir aus den aktuellen Daten der Statistik Austria (2018) Viele können ihre Wohnung nicht im Winter heizen, müssen unter desolaten Wohnbedingungen leben (doppelt so oft von feuchter Wohnung betroffen, fünfmal öfter Überbelag, dreimal öfter dunkle Räume). Massiv sind die Auswirkungen auf Gesundheit, Chancen und Teilhabe bei Kindern. Die Gefahr des sozialen Ausschlusses bei Kinder zeigt sich in den geringeren Möglichkeiten Freunde einzuladen (10mal weniger als andere Kinder), Feste zu feiern und an kostenpflichtigen Schulaktivitäten teilzunehmen (20mal weniger). Es finden sich keine Maßnahme in der vorgelegten Sozialhilfe, die die Situation verbessern würden, eher im Gegenteil, so die Armutskonferenz abschließend.

Eine Sammlung von ausführlichen Begutachtungen zur vorgelegten "Sozialhilfe" von Mitgliedsorganisationen und ExpertInnen der Armutskonferenz

Im Podcast ausführlich nachhören, welche Probleme das neue Sozialhilfegesetz schafft:
https://armutskonferenz.podigee.io/2-stellungnahmensozialhilfegrundsatzgesetz