Enquete Zukunft trotz(t) Herkunft: Turnaround - Wie Schulen an benachteiligten Standorten die Trendwende schaffen

Chancenindex und Schulentwicklung: „Wer hier arbeitet, darf seine Erwartungen und die der Schüler nicht selbst begrenzen“

(21.05.2019) Das österreichische Schulsystem ist durch einen besonders starken Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg gekennzeichnet. Um die Chancen für alle Kinder zu erhöhen, diskutieren heute auf der sechsten Bildungsenquete „Zukunft trotz(t) Herkunft“ SchulpraktikerInnen und WissenschafterInnen, internationale Modelle zur besonderen Unterstützung benachteiligter Schulstandorte.

"Schulen in sozial benachteiligten Bezirken besonders gut auszustatten, damit sie keine Schüler zurücklassen und für alle Einkommensschichten attraktiv bleiben", verweist die Armutskonferenz auf das vorliegende Konzept eines „Chancenindex", um Kindern "Zukunft trotz Herkunft" zu ermöglichen. Mit dieser schulpolitischen Intervention kann zwar die Spaltung in "gute" und "schlechte" Wohngegenden nicht aufgehoben werden - die liegt ja in der Einkommens- und Wohnpolitik - aber es kann in den Schulen einiges verbessert werden", so Martin Schenk, Sozialexperte und Mitbegründer der Armutskonferenz.

Voneinander Lernen - Erwartungen nicht selbst begrenzen

„Wie wir aus der Forschung wissen, bedeutet mehr Geld nicht automatisch, dass die Schule qualitativ besser wird“, gibt Schenk zu bedenken. Deswegen ist es wichtig von Erfolgen anderer zu lernen, wie Schulen an schwierigen Standorten sich gut entwickeln können. „Wir haben jede Schule aufgefordert, drei Punkte zu nennen, in denen sie wirklich gut ist – gut genug, um andere einzuladen“, sagen die Londoner Schulrefomer. Wenn man das weiß, kann eine Schule, die bei einer Sache Probleme hat, von anderen lernen. Dabei müsse man auch die Tradition brechen, dass jeder Lehrer für sich alleine kämpft. Hier braucht es Unterstützung und Ressourcen für die Pädagogen. Und auf einen weiteren entscheidenden Punkt weist Schenk aus den Gesprächen mit erfolgreichen Schulen hin: „Wer hier arbeitet, darf seine Erwartungen und die der Schüler nicht selbst begrenzen. Hohe Erwartungen sind ganz wichtig. In alle Richtungen. Auch an den Spirit der Lehrkräfte: "We are not doing it because it's easy, we're doing it because it's hard."

Die Vorteile einer Kombination aus Chancenindex und Schulentwicklung sind: Schulische Autonomie und Demokratie wird gefördert und Anreize für engagierte Pädagogen gesetzt. Das zahlt sich aus für die Kinder: Bessere Leistungen, mehr Chancen und attraktivere Schulen.

Bessere Schule - Bessere Chancen

Es gibt kein Land, in dem der soziale Hintergrund nicht über den Bildungserfolg mitentscheidet. Allerdings gibt es sehr wohl Staaten, in denen der Zusammenhang schwächer oder stärker ist.
Rund 16 Prozent der Leistungsunterschiede waren in Österreich durch den unterschiedlichen sozialen Status der Schüler bedingt. Das ist in etwa der gleiche Wert wie in Deutschland, liegt aber über dem OECD-Schnitt (13 Prozent) und weit hinter Ländern wie Norwegen (acht Prozent). Gleiches gilt für jenen Prozentsatz benachteiligter Schüler, die mindestens die Pisa-Leistungsstufe drei (von insgesamt fünf) erreichen: In Österreich beträgt ihr Anteil 23 Prozent (OECD-Schnitt: 25 Prozent). Die Topländer (Estland, Japan, Finnland, Kanada) haben Werte von 40 Prozent und darüber, auch Deutschland kommt auf immerhin 32 Prozent.

Drei Faktoren spielen eine zentrale Rolle. Erstens: Das österreichische Schulsystem delegiert sehr viele Aufgaben an die Eltern, gerade die Bildungsaufgaben. Daher hängt viel davon ab, ob die Eltern unterstützen können oder nicht. In der Soziologie wird das als "primärer Schichteffekt" bezeichnet. Zweitens: Selektion. Österreich trennt die Kinder zu früh. Je früher die Trennung, desto weniger spielt der Leistungseffekt eine Rolle, desto stärker wirkt der soziale Hintergrund bei der Bildungsentscheidung. Dies wird als "sekundärer Schichteffekt" bezeichnet. Und drittens: die soziale Zusammensetzung in der Schule. Schulen in ärmeren Vierteln mit Arbeitslosigkeit oder niedrigerem Status wirken sich ungünstig auf die Bildungschancen der Kinder aus. Das nennt man "sozialen Kontexteffekt". Eine überbelegte Wohnung fällt zusammen mit einer Halbtagsschulordnung. Wenig Einkommen trifft auf ein einkalkuliertes Nachhilfesystem. Keine Unterstützung zu Hause kommt mit eigener Erschöpfung und Unkonzentriertheit zusammen. Und schlecht ausgestatteten Schulen vereinen sich mit einem sehr selektiven Schulsystem.


Download: Präsentationsfolien Hannelore Trageser (Schulentwicklung Berlin)