Gerade jetzt - Bildungsinvestition flächendeckend und sofort!

Schulentwicklung in schwieriger Lage: "Pilotprojekt 100 Schulen" muss zu einem echten Chancenindex für alle werden

(21.06.2023) Um jedem Kind eine gute Zukunft zu ermöglichen, diskutieren heute auf der Bildungsenquete „Zu-MUTungen“ Schulpraktiker*innen und Wissenschaftler „erfolgreiche Schulentwicklung an Schulen in schwieriger Lage“. Die Armutskonferenz hofft, dass „das Pilotprojekt 100 Schulen zu einem echten Chancenindex für alle führt“ Das heißt „flächendeckend, mit sozioökonomischen Indikatoren, mit Schulentwicklung, und nicht beschämend. Diese Bildungsinvestition bräuchten wir jetzt besonders in Krisenzeiten - und sofort“, so Sozialexperte Martin Schenk vom Netzwerk Armutskonferenz.

Würde es hierzulande bereits einen Chancenindex geben, befänden sich rund 17 % aller Pflichtschulen in Stufe 5 bis 7, also „hoher“ bis „sehr hoher“ Unterstützungsbedarf. Die überwiegende Mehrheit der österreichischen Schulstandorte wäre in den sozial gut durchmischten Chancen-Index-Stufen 3 und 4. Das Pilotprojekt 100 Schulen kann nur einen geringen Anteil der Schulstandorte abdecken. Hundert teilnehmende Schulen bedeutet, dass nur jede elfte Pflichtschule mit großen Herausforderungen berücksichtigt wird. Und selbst wenn sich das Pilotprojekt nur an Volksschulen richten würde, könnte nur jeder vierte Volksschulstandort in Österreich teilnehmen.

Schulentwicklung in London und Toronto: Voneinander lernen

Es gibt einige internationale Beispiele, die zeigen, wie Schulen an benachteiligten Standorten die Trendwende schaffen können. In Toronto heißt der Chancenindex „Learning Opportunity Index (LOI)“. Wozu er dient, argumentieren die Kanadier so: „Die Schulen mit dem höchsten Wert haben die stärksten Herausforderungen zu bewältigen und brauchen daher die meiste Unterstützung“. Die Maßzahlen beziehen sich in Toronto auf das Familieneinkommen, Armut und formale Bildung der Eltern. Die Modellschulen sind in 8 Cluster gruppiert mit verantwortlichen Lehrern (lead teachers), Weiterbildung (learning classroom teacher) und Sozialarbeitern (community support worker). Der LOI wird alle zwei Jahre berechnet.
„Wir haben jede Schule aufgefordert, drei Punkte zu nennen, in denen sie wirklich gut ist – gut genug, um andere einzuladen“, sagen die Londoner Schulreformer der „London Challenge“. Man müsse auch die Tradition brechen, dass jeder Lehrer für sich alleine kämpft. Im Zentrum des Turnarounds stand die Qualität des Unterrichts, das Bilden von Lehrerteams, Ressourcen für pädagogischen Umbau und eine neue Haltung gegenüber den Kindern: „Wir trauen dir zu, dass du viel kannst." „Lehrerin sein ist eigentlich ein cooler Job“, berichtet Schenk von einem Gespräch. Die Pädagogin hat selbst gemischte Schulerfahrungen, wenn sie an ihre Zeit als Schülerin zurückdenkt, von sehr gut bis schlecht. „Aber es waren die guten Lehrer, die mich geprägt haben. Das möchte ich weitergeben.“

Gründe für Bildungsungleichheiten

Es gibt kein Land, in dem der soziale Hintergrund nicht über den Bildungserfolg mitentscheidet. Allerdings gibt es sehr wohl Staaten, in denen der Zusammenhang schwächer oder stärker ist. Das österreichische Schulsystem delegiert sehr viele Bildungsaufgaben an die Eltern. Daher hängt viel davon ab, ob die Eltern unterstützen können oder nicht. In der Soziologie wird das als "primärer Schichteffekt" bezeichnet. Zweitens Selektion. Österreich trennt die Kinder zu früh. Je früher die Trennung, desto weniger spielt der Leistungseffekt eine Rolle, desto stärker wirkt der soziale Hintergrund bei der Bildungsentscheidung. Dies wird als "sekundärer Schichteffekt" bezeichnet. Und drittens die soziale Zusammensetzung in der Schule. Schulen in ärmeren Vierteln mit Arbeitslosigkeit oder schwächerem ökonomischen Status wirken sich ungünstig auf die Bildungschancen der Kinder aus. Das nennt man "sozialen Kontexteffekt“.

„Nicht-beschämendes“ Vorgehen

„Der Chancenindex würde besonders bei Effekt Drei, aber auch bei Eins helfen“, analysiert Martin Schenk. Aus den internationalen Vergleichsstudien wissen wir aber: Mehr Geld für die Schulen bedeutet nicht automatisch, dass sie qualitativ besser werden. Deswegen muss jeder Standort ein Konzept entwickeln, wie er die Ressourcen am sinnvollsten einsetzt. Für den Erfolg zentral ist ein wertschätzendes, nicht-beschämendes Vorgehen. Öffentliche Rankings von Schulen beschämen die Schwächeren statt sie zu stärken - und vertiefen die Unterschiede. Zur Schulentwicklung ist es zielführender, wenn sozial ähnlich zusammengesetzte Schulstandorte voneinander lernen, so das Netzwerk Armutskonferenz abschließend.