Migration

Armut macht fremd. Gleichberechtigung, Barrierefreiheit, Aufstieg ermöglichen

neue-mitbuerger_c-simon-hadler

Zwei Drittel der MigrantInnen sind als ArbeiterInnen beschäftigt, unter ihnen 63% der Zugewanderten aus dem ehemaligen Jugoslawien, 65% aus der Türkei. Sie arbeiten im Handel und in der Sachgütererzeugung, im Tourismus und in der Gastronomie, in der Industrie und in der Bauwirtschaft, in Reinigungsfirmen und im Gesundheitssektor. Viele Branchen, in denen der Wettbewerb hoch und die Beschäftigungsstabilität gering ist, jedenfalls das Einkommen niedrig. Insgesamt ist die Nachfrage nach gering qualifizierten Tätigkeiten größer als die Anzahl an Menschen mit geringen Qualifikationen, die zur Verfügung stehen. Daraus folgt, dass in erheblichem Umfang höher Ausgebildete in gering qualifizierten Tätigkeiten beschäftigt sein müssen. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten in gering qualifizierten Tätigkeiten hat eine mittlere Ausbildung. Es gibt einen Überschuss an mittleren Ausbildungen und zu wenig Geringqualifizierte für die zahlreichen „unteren“ Jobs. Deswegen entsteht die Schwierigkeit, eigene Bildung nicht verwerten zu können. Davon sind überproportional MigrantInnen betroffen. Nach der erfolgten Dequalifizierung findet kein beruflicher Aufstieg mehr statt. Die Dequalifizierung nach der ersten Beschäftigung wird im Lebenslauf nicht mehr überwunden.

Wenn also die wichtige Funktion der Bildung betont wird, dann muss auch ihre reale Verwertung auf dem Arbeitsmarkt Thema sein. Wenn mehr qualifizierte Zuwanderung gefordert wird, dann muss man zumindest darauf hinweisen, dass es diese seit zwanzig Jahren gibt, sie aber nicht zur Kenntnis genommen wird. Wenn davon gesprochen wird, dass wir ab jetzt nur mehr Hochqualifizierte als Zuwanderer brauchen, dann muss auf den Widerspruch der großen Nachfrage im Niedriglohnsektor verwiesen werden. Und der Druck zur Sprache kommen, der mittlerweile Bessergebildete dazu zwingt, im untersten Sektor zu arbeiten.

Weiters spiegelt sich die prekäre Lebenslage in der Wohnsituation von MigrantInnen. Die durchschnittliche Wohn(nutz) fläche pro Kopf liegt bei 43 m2, bei MigrantInnen hingegen bei 31 m2. EU-BürgerInnen verfügten über 48 m2/Kopf, türkische StaatsbürgerInnen über 20 m2/Kopf. Dabei verbessern sich auch hier die Wohnbedingungen im Vergleich zwischen erster und zweiter Generation. Personen mit ausländischer Herkunft tragen höhere Wohnkosten. Mussten 2008 18% der Bevölkerung mehr als 25% ihres Haushaltseinkommens für Wohnen aufwenden, waren es 34% der Personen ausländischer Herkunft. Da ihr Zugang zum Wohnungsmarkt deutlich eingeschränkt und derjenige zum geförderten Wohnsegment abgesehen von Wien und Salzburg überhaupt verschlossen ist, konzentrieren sich ImmigrantInnen in infrastrukturell schlecht ausgestatteten Wohngebieten. Nur 16% der Personen mit Migrationshintergrund lebten 2009 in einem Eigenheim (45% der ÖsterreicherInnen), zehn Prozent in einer Eigentumswohnung (elf Prozent der ÖsterreicherInnen). Demgegenüber verfügten 6,2% der Personen aus Ex-Jugoslawien und 2,8% der türkischen StaatsbürgerInnen über eine Eigentumswohnung. Nicht nur ist der Mietanteil der ImmigrantInnen deutlich höher als jener der StaatsbürgerInnen; sie hatten 2009 auch deutlich höhere Mieten zu bedecken als der Bevölkerungsdurchschnitt. In sieben von neun Bundesländern.

Ein wichtiger Punkt der Armutsbekämpfung ist es das Recht auf Niederlassung (Aufenthaltssicherheit) sicherzustellen. Hierzu ist eine Stärkung des Systems der Aufenthaltsverfestigung erforderlich. Nach einer rechtmäßigen Niederlassung von höchstens fünf Jahren sollte eine Aufenthaltsbeendigung aus Gründen der Erwerbsoder Wohnungslosigkeit oder des Fehlens der Krankenversicherung ohne zusätzliche Voraussetzungen nicht mehr zulässig sein. Der Erwerb des Status der Aufenthaltsverfestigung muss für Menschen, die in Österreich aufgewachsen sind, erleichtert werden, etwa durch Entfall des Verfahrenskostenrisikos.

Die Einbürgerung sollte entscheidend erleichtert werden, da die Staatsbürgerschaft vielgestaltig Teilhaberechte einräumt. Personen, welche die Pflichtschule in Österreich absolviert haben und nach wie vor hier leben, sollten einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung bei Erreichen der Volljährigkeit erhalten, unabhängig von der Voraussetzung eines bestimmten Einkommens. Ferner sind Erleichterungen der Einbürgerung für Personen erforderlich, die sich über dreißig Jahre in Österreich aufhalten, ohne deren Lebensunterhalt zu prüfen. Insgesamt sind die Einkommenshöhen für die Staatsbürgerschaft so angesetzt, dass mehr als ein Fünftel der österreichischen Gesamtbevölkerung daran scheitern würde. Unter den weiblichen Arbeiterinnen sind es sogar etwa siebzig Prozent, die allein dieses Kriterium nicht erfüllen könnten. Für Krankheit, kurzfristige Arbeitslosigkeit oder geringe Bezahlung werden die Betroffenen mit Ausschluss von Mitbestimmung und demokratischen Rechten bestraft. Längst überfällig ist die Nutzung des Instrumentes der Doppelstaatsbürgerschaft zur Unterstützung von Integrationsprozessen. MigrantInnen sollten nicht mit der alten Heimat brechen müssen, sondern eine zweite Heimat dazu gewinnen können.

Weiters ist eine Harmonisierung von Aufenthaltsrecht und Beschäftigungsrecht erforderlich. Jede/r, der/die zur Niederlassung berechtigt ist, sollte auch arbeiten dürfen. Aufenthaltsverfestigte Personen sowie aus humanitären Gründen Aufenthaltsberechtigte sollten voraussetzungslosen Arbeitsmarktzugang erhalten.

Der öffentlich geförderte Wohnungsmarkt (gemeinnütziger Wohnbau, sozialer Wohnbau) soll auch und gerade in Form der Wohnbauförderung (Wohnbeihilfen) für rechtmäßig niedergelassene Personen geöffnet werden, da für sie Wohnungen am freien Wohnungsmarkt oft nur in weniger attraktiven Stadtteilen leistbar sind, wo sozial benachteiligte Einheimische und MigrantInnen aufeinander treffen.

Zentrale Forderungen

  • Dequalifizierung verhindern: Anerkennung von (Teil)Qualifikationen und Bildungsabschlüssen
  • Diskriminierung aufgrund der Herkunft bei Bewerbungen zurückdrängen
  • System der Aufenthaltsverfestigung stärken, Doppelstaatsbürgerschaft ermöglichen, Staatsbürgerschaft für hier geborene Kinder erleichtern
  • Ad Bildung siehe Bildungskapitel
  • Zugang zu sozialem Wohnbau ermöglichen, weiteres zu Wohnen siehe Wohnkapitel

Weitere Informationen

Sozialpolitische Datenbank "Alles über und gegen Armut": Kartegorie Migration | Asyl