Kriminalisierung

Soziale Präventionspolitik statt Sicherheitsstaat

Soziale Präventionspolitik statt Sicherheitsstaat

„Sozialpolitik ist die beste Kriminalpolitik.“ Diese These des Strafrechtsreformers Liszt aus dem 19. Jahrhundert hat auch heute noch universelle Gültigkeit.

Arme sind nicht krimineller als andere Menschen, aber Armutslagen wie Arbeitslosigkeit, materielle Not und soziale Unterversorgung sind Risikofaktoren für das Überschreiten der Legalitätsgrenze. In der Regel sind diese Verstöße nicht Formen schwerer und somit beunruhigender Kriminalität, sondern (meist untaugliche) Versuche sich aus einer akuten Krise oder aus einer ökonomischen Zwangslage zu befreien und reichen von der Schwarzarbeit bis zu Eigentumsdelikten. Die Entwicklung und der Ausbau des Wohlfahrtsstaates in den industriellen Gesellschaften des Westens nach 1945 erhob die Milderung sozialer Ungleichheiten durch staatliche Interventionen zum Programm. Damit verbunden war auch eine integrative Sozialpolitik, die auf Resozialisierung und Reintegration von Straffälligen setzte, auch aus dem Wissen heraus, dass mit Straffälligkeit ein hohes Armutsrisiko verbunden ist.

Mit der „Krise“ des Wohlfahrtsstaates, den damit verbundenen Finanzierungsschwierigkeiten und der Zunahme von Armutsgefährdung erfährt auch das Anliegen einer integrativen und kompensatorischen Sozialpolitik für Randständige einen Bedeutungsverlust. WohlstandsverliererInnen, die trotz oder mangels eigenen Einkommens nicht ihren Lebensunterhalt bestreiten können, machen einen bedeutenden und stabilen Teil der Gesellschaft aus. Mit der Abschwächung des Wohlfahrtsstaatsmodells und erhöhten Lebensrisiken für breitere Gesellschaftsschichten ändern sich auch deren Einstellungen zu Randgruppen und sozialer Not. Was vordem mitfühlend als „Benachteiligung“ bestimmt wurde, gilt nun als „Bedrohung“ und Defizit, welches Betroffene zu selbstverschuldeten BittstellerInnen von Sozialleistungen macht.

Kontrollbedürfnisse, Sicherheitsmaßnahmen und Ausgrenzung nehmen zu. Von Bettelverboten, Sicherheitszonen, verschärften Fremdengesetzen bis zu härteren Strafen und vollen Gefängnissen reicht die „Angst“palette, die damit mehr die Armen trifft als die Armut bekämpft.

Wirksame Armutsbekämpfung umfasst alle Politikbereiche und schließt daher Kriminal- und Sicherheitspolitik mit ein. Gerade die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik hat eine große Bedeutung für die Resozialisierung Straffälliger.

Unbestritten ist, dass Arbeit und Beschäftigung die wichtigsten protektiven Faktoren gegen eine neuerliche Straffälligkeit sind. Der Leitgedanke von Resozialisierung, Integration und Wiedergutmachung sollte im Umgang mit Kriminalität im Vordergrund stehen. Alle Sanktionen, Maßnahmen und Programme der Justiz- und Kriminalpolitik sollten einem resozialisierenden Grundsatz verpflichtet sein, da sie damit auch präventiv, sozialintegrativ und armutsvermeidend wirken.

Zentrale Forderungen

  • Vorrang sozial-konstruktiver Sanktionen und Maßnahmen vor Geld- und Freiheitsstrafen – Haft nur als „ultimo ratio“
    durch Tatausgleich als Wiedergutmachung zwischen TäterIn und Opfer und durch die gemeindenahe und sozialraumorientierte Erbringung gemeinnütziger Leistungen.
  • Spezifische Angebote für straffällige Jugendliche, Gewaltprävention an Schulen
    Soziale Trainings, Anti-Gewalt Gruppen für straffällige Jugendliche; Gewaltprävention als fixer Bestandteil in Lehrplänen und Unterricht aller Schulen
  • Verbesserungen im Bereich Gewaltschutz für Frauen
    Zahl der Frauenhäuser in ländlichen Gebieten erhöhen; bundesweiter Rechtsanspruch auf kostenlosen Schutz und Sicherheit in einem Frauenhaus für jede in Österreich lebende Frau, ungeachtet ihrer Herkunft oder ihres Alters.
  • Kooperation im Bereich Entlassungshilfe
    Ein abgestimmtes Modell der Kooperation zwischen Justiz und ambulanten Trägern im Bereich der Entlassungshilfe; frühzeitig beginnende Entlassungsberatung und Entlassungsbegleitung
  • Umfassende soziale Absicherung von während der Haft arbeitenden Strafgefangenen und deren Angehörigen
    Vollständige Einfügung der Strafgefangenen in das System der Sozialversicherung insbesondere in die Krankenversicherung und ins Pensions- und Rentenrecht. Ein großes Hindernis für die Integration Haftentlassener stellt deren Status am Arbeitsmarktservice dar. Haftentlassene gelten nach Haftentlassung nicht als langzeitarbeitslos. Daher können sie nach geltender Förderpraxis des AMS nicht arbeitsmarktpolitisch gefördert werden. Der Zugang zu sozialökonomischen Betrieben und zu Kursmaßnahmen steht ihnen erst dann offen, wenn sie das Kriterium der Langzeitarbeitslosigkeit erfüllen.

Weitere Informationen

Sozialpolitische Datenbank "Alles über und gegen Armut": Kartegorie Kriminalisierung | Betteln