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Ungleichheit im Gesundheitssystem entgegen wirken

Ungleichheit im Gesundheitssystem entgegen wirken

Innerhalb der sozial- und gesundheitspolitischen Diskussion spielt die Ungleichbehandlung von armutsbetroffenen und armutsgefährdeten Menschen nach wie vor nur eine geringe Rolle, obwohl die Zusammenhänge zwischen Armut und Gesundheit bzw. Krankheit durch zahlreiche Studien hinlänglich erwiesen sind.

Gesundheitliche Unterschiede zeigen sich bereits in der subjektiven Einschätzung des Gesundheitszustands. Personen mit höchstens Pflichtschulabschluss geben fast doppelt so oft starke Beeinträchtigungen durch Behinderungen oder gesundheitliche Probleme an wie Personen mit Matura. Personen, die HilfsarbeiterInnen-Tätigkeiten ausführen, sind doppelt so oft gesundheitlich beeinträchtigt wie andere Berufstätige. (Vgl. EU SILC 2011)

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, in der Arbeitslosigkeit oft mit Leistungsverweigerung gelichgesetzt und stigmatisiert wird. Die Folgen sind psychosoziale Belastungen und Gesundheitsprobleme. Menschen ohne Erwerbstätigkeit schätzen ihren Gesundheitszustand generell schlechter ein als Erwerbstätige. Sie geben mehr als sechs Mal so oft starke Beeinträchtigungen an.

In unteren Einkommensgruppen sind Erkrankungen in den Bereichen Diabetes, chronische Angststörungen und Depression, Adipositas und Herz-Kreislauferkrankungen weitaus stärker verbreitet als in höheren. Die Ungleichheiten reichen bis zur Lebenserwartung: Männer mit einer guten Ausbildung leben 6,2 Jahre länger, Frauen 2,8 Jahre. Personen mit Pflichtschulabschluss haben nicht nur eine geringere Lebenserwartung als Personen mit Universitätsabschluss, sie sind auch im Alter länger gesundheitlich eingeschränkt. Männer mit Pflichtschulabschluss sind im Alter durchschnittlich 2,2, Jahre so sehr eingeschränkt, dass sie in ihren lebensnotwendigen Tätigkeiten auf fremde Hilfe angewiesen sind, Frauen im Schnitt 2,8 Jahre. Männliche und weibliche MaturantInnen sind im Durchschnitt nur 0,8 bzw. 1,3 Jahre pflegebedürftig. (Vgl. Doblhammer- Reiter 1996)

Gesundheitsschädigendes Verhalten (wie Rauchen, ungesunde Ernährung, zu wenig Bewegung) zu vermindern, ist sehr oft ein Ansatzpunkt, um gesundheitlicher Ungleichheit entgegenzuwirken. Am Verhalten anzusetzen kann aber nicht ausreichen, weil gesundheitsschädigendes Verhalten erwiesenermaßen mit der sozialen Herkunft zusammenhängt. Die materielle Lage ist ausschlaggebend dafür, welchen Lebensstil man praktizieren kann, in welcher Wohngegend man zum Beispiel wohnt, oder auch, ob man sich gesunde Nahrungsmittel leisten kann. Zu den materiellen und psychosozialen Belastungen im Lebenslauf zählt auch der Umstand, dass Menschen mit niedrigem Einkommen sehr oft in Branchen arbeiten, in denen sie höheren Belastungen wie Lärm und Schmutz ausgesetzt sind, aber auch oft Berufe ausüben, in denen sie wenig Gestaltungsmöglichkeiten haben, was wiederum einen Einfluss auf die psychosoziale Gesundheit hat. Einkommensschwache Personen haben auch unterschiedliche Bewältigungsressourcen und Erholungsmöglichkeiten: BezieherInnen niedriger Einkommen fahren weniger oft auf Urlaub, können sich kein Fitnesscenter leisten etc.

Eine Abkehr vom Solidarprinzip und eine Zunahme der Selbstbeteiligung der PatientInnen verstärken die gesundheitliche Ungleichheit in Österreich.

In der Gesundheitspolitik und Prävention wird zu wenig Augenmerk auf die sozialen Lebensbedingungen gelegt. Zugang, Inanspruchnahme und Qualität der Gesundheitsdienste müssen unabhängig von Einkommen, Herkunft und sozialem Status gewährleistet werden. Maßnahmen, die gesundheitlicher Ungleichheit entgegenwirken, müssen zielgruppenspezifische Anreizsysteme und Lösungen im Blick haben sowie die Betroffenen einbinden. Nicht zuletzt muss soziale und gesundheitliche Ungleichheit ein zentrales Thema der Gesundheits- und Sozialpolitik werden.

Zentrale Forderungen

  • Beratung und Information
    Davon profitieren im besonderen Maße sozial benachteiligte Kinder. Gesundheits- und Sozialberatungsstellen, die neben gesundheitsrelevanten Informationen auch soziale Beratungsdienstleistungen anbieten; gezielte Informations- und Präventionsarbeit (mehrsprachig, auch aufsuchend, besondere Berücksichtigung von Kindern und Jugendlichen sowie Frauen)
  • Psychotherapie und psychosoziale Notdienste
    erleichterter Zugang zu kostenloser Psychotherapie, Ausbau von Therapie- und Beratungseinrichtungen und psychosozialen Notdienste außerhalb der Ballungszentren
  • Prävention und Rehabilitation
    erleichterter Zugang zu präventiven Gesundheitsmaßnahmen wie Kuren etc., uneingeschränkter Zugang zu REHA-Maßnahmen
  • Finanzielle Unterstützung
    Unbürokratische finanzielle Unterstützung bei Behandlungen mit hohen Selbstbehalten (Zahnersatz, Regulierungen, etc.) sowie bei notwendigen Heilbehelfen (Hörgeräte, orthopädische Hilfen etc.)
  • Krankenversicherung
    Schließen der Lücken für Menschen ohne Krankenversicherung

Weitere Informationen

Sozialpolitische Datenbank "Alles über und gegen Armut": Kartegorie Gesundheit | Krankheit

Studie (August 2015): Barrieren und Lücken im öster. Gesundheitssystem

News (August 2015): 15 Vorschläge für weniger Barrieren im Gesundheitssystem