Bildung

Zukunft trotz(t) Herkunft: Bildung für alle

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Trotz der im europäischen Vergleich geringen Kinderarmut schneidet Österreich in der sozialen Mobilität „nach oben“ nur durchschnittlich ab. Die soziale Herkunft entscheidet überaus stark den weiteren Lebensweg.

„Wo stehst du, wenn du dreißig Jahre alt bist?“, wurden 15-Jährige in ganz Europa gefragt. Ergebnis: In Österreich und Deutschland trauen sich Kinder aus Familien mit geringem sozioökonomischem Status weniger zu als Kinder aus vergleichbaren Familien in Finnland oder Kanada. Man weiß, wer wohin gehört. Auch wer im untersten Stockwerk eingeschlossen bleibt. Hierzulande erwarteten sich die 15-Jährigen, die bereits nach ihrer vermeintlichen Leistungsfähigkeit zugewiesen wurden, deutlich weniger von ihrer Zukunft als in Ländern, in denen soziale Aufstiegschancen besser gewährleistet werden. Fairer ist es wohl, wenn die Bildungschancen der Kinder von ihren Talenten abhängen und nicht vom sozioökonomischen Status ihrer Eltern. Je weniger die Eltern verdienen, desto eher wechseln die Kinder nicht in die AHS-Unterstufe auch wenn sie laut Volksschulzeugnis die AHS-Reife hätten. Das setzt sich fort über die Oberstufe bis zum Studium. Die finanzielle Lage der Haushalte manifestiert sich darin, welcher Schultyp für die Kinder gewählt wird.

„Es sind halt viele schlechte Schüler da, die Eltern kümmern sich nicht“, könnte man argumentieren. „Was kann da die Schule dafür?“ Wenn das so wäre, dann müsste freilich zumindest bei der Top-Kompetenz alles in Ordnung sein. Eltern, die viel fördern, viele selbstmotivierte SchülerInnen. Aber: Nur acht Prozent der Kinder in Österreich erreichen beim Schulvergleichstest Pirls die höchste Lesekompetenzstufe. Die besten Länder kommen auf siebzehn und neunzehn Prozent. Und bei Pirls sind die Lese-Spitzenländer der PISA-Studie wie Finnland oder Australien gar nicht beteiligt. Wie stark hierzulande der Lernerfolg von Kindern am sozialen Status der Eltern hängt, zeigt Pirls erneut auf: Hohe Bildung und damit hohes Einkommen, hohe berufliche Position bedeuten im hiesigen Schulsystem um neunzig Punkte bessere Leistung als Kinder aus Elternhäusern mit weniger Bildung und Einkommen erbringen. In anderen Ländern beträgt dieser Abstand weniger als vierzig Punkte.

127.000 Kinder und Jugendliche werden als „manifest arm“ bezeichnet (EU SILC 2012), das heißt sie müssen unter bedrückenden Lebensverhältnissen leben, wie in zu kleinen und schimmligen Wohnung, im Winter in unbeheizten Räumen. Ihre Eltern haben die schlechtesten Jobs, die geringsten Einkommen, die krank machendsten Tätigkeiten. Die Jugendlichen wohnen in den schlechtesten Vierteln und gehen in die am geringsten ausgestatteten Schulen.
Bildung führt jedoch nicht automatisch zu weniger Armut. Wo Wissen zum ausschlaggebenden Faktor im Wettbewerb wird – Stichwort: Wissensgesellschaft – verschärfen sich soziale Ungleichheiten. Bildung als individuelles Hochrüstungstool im gegenseitigen Wettkampf verschärft die soziale Spaltung. Und es geht immer auch darum, ob Bildung am Arbeitsmarkt „verwertbar“ ist. Tausende müssen in Österreich weit unter ihrer Qualifikation arbeiten.

Die Chance, aus der Armut herauszukommen, steht in enger Wechselbeziehung zu gesellschaftlicher Ungleichheit insgesamt. Je sozial gespaltener eine Gesellschaft ist, desto mehr Dauerarmut existiert. Je mehr Dauerarmut existiert, desto stärker beeinträchtigt sind die Zukunftschancen sozial benachteiligter Jugendlicher. Je früher, je schutzloser und je länger Kinder der Armutssituation ausgesetzt sind, desto stärker die Auswirkungen.

Eine Schule, die nicht sozial ausgrenzt, ist jedenfalls eine bedeutende Voraussetzung für Aufstiegschancen von Kindern aus benachteiligten Familien. Die Schule hat eine zentrale Verantwortung dafür, ob die Bildungschancen vom Talent des Kindes oder vom Einkommen der Eltern abhängen.

Zentrale Forderungen

  • Ganztägige Schulformen mit verschränktem Unterricht ausbauen
    Davon profitieren im besonderen Maße sozial benachteiligte Kinder.
  • Ein Unterricht, der in heterogenen Gruppen, individuell fördern kann
    Ein Unterricht, der Lernprozesse gestaltet, auf Neugier und Konzentration baut. Von der Defizitorientierung auf Ressourcenorientierung umsteigen. Wo „Fehler machen“ Bestandteil des Lernens ist. Ein Unterricht, der sich an den Lebenswelten der SchülerInnen orientiert und sie nützt. Abgehen von den Ein Stunden-Einheiten: Themenflächen und Fächerauflösung im Kernunterricht
  • Neue Schulraumarchitektur
    Es brauchte eine andere Schulraumarchitektur mit flexibleren Räumen, Ecken zum zurückziehen, Orte zum Recherchieren und zum Aufenthalt in Pausen.
  • Öffnung der Schule hin zum Stadtteil, zur Gemeinde
    für Aktivitäten in Gesundheit oder Erwachsenenbildung, Spracherwerb, Kulturoder Sportveranstaltungen.
  • Flächendeckender Ausbau von schulunterstützender Sozialarbeit
    wie auch Ausbau an den Schnittstellen zwischen Schule und offener Jugendarbeit.
  • Kompensatorische Ressourcenzuteilung für Schulen
    Schulen in sozial benachteiligten Bezirken besonders gut auszustatten, damit sie keine SchülerIn zurücklassen und für alle Einkommensschichten attraktiv bleiben. Die Niederlande, Zürich, Hamburg und auch Kanada haben mit einer indexbasierten Mittelzuteilung gute Erfahrung gemacht. Mit einem solchen Sozialindex, der unter anderem Bildungsstand, Beruf und Einkommen der Eltern umfasst, würde eine Schule um einen bestimmten Prozentsatz x mehr an Ressourcen bekommen. Mehr Geld bedeutet aber nicht unbedingt, dass sie qualitativ besser werden. Deswegen muss jeder Standort einen Plan entwickeln, wie er die Ressourcen am sinnvollsten einsetzt.

Weitere Informationen

Sozialpolitische Datenbank "Alles über und gegen Armut": Kategorie Bildung

Aktivitäten: Zukunft trotz(t) Herkunft