Zukunft trotz(t) Herkunft: Für eine Schule, die allen nützt

Schule hat zentrale Verantwortung dafür, ob die Bildungschancen vom Talent des Kindes oder vom Einkommen der Eltern abhängen.

(13.01.10) "Eine Schule, die nicht sozial ausgrenzt, ist zentrale Voraussetzung für Armutsbekämpfung und Aufstiegschancen von Kindern aus benachteiligten Familien", so die Armutskonferenz anläßlich der Enquete "Zukunft trotz(t) Herkunft" in Wien. "Trotz gut ausgebauten Sozialstaats sind die Aufstiegschancen von Kindern aus ärmeren Elternhäusern in Österreich unterdurchschnittlich", stellt Sozialexperte Martin Schenk fest. "In Österreich haben wir eine im europäischen Vergleich geringe Kinderarmut, aber nur durchschnittliche Werte bei den sozialen Aufstiegschancen von Kindern aus ärmeren Haushalten. Bildung ist nicht der einzige, aber einer der effektivsten Faktoren, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Die Schule hat eine zentrale Verantwortung dafür, ob die Bildungschancen vom Talent des Kindes oder vom Einkommen der Eltern abhängen.", so Sozialexperte Martin Schenk von der Armutskonferenz.
In Finnland (sechs Prozent), Kanada (zehn Prozent) und Schweden (dreizehn Prozent) finden sich deutlich weniger SchülerInnen am unteren Ende der Leistungsverteilung als in Österreich (21 Prozent).
Gleichzeitig erreichen fünfzehn Prozent der finnischen, dreizehn Prozent der kanadischen und elf Prozent der schwedischen SchülerInnen mit Level fünf den obersten Leistungsbereich im Lesen (in Österreich acht Prozent).*
Die Förderung von Spitzenleistungen muss nicht auf Kosten der Förderung von schwachen SchülerInnen gehen. Vielmehr können Schulsysteme ihre Besten für Spitzenleistungen qualifizieren, gleichzeitig aber dafür sorgen, dass der Abstand der schwächsten Schüler zu den besten gering ist. Das zeigt, dass Schulsysteme, die Risikogruppen möglichst klein halten, allen Kindern bessere Möglichkeiten bieten. Die Förderung von
Kindern, die sich schwerer tun, geht somit ganz und gar nicht auf Kosten der Entwicklung von Talenten und Fähigkeiten aller Kinder oder besonders begabter Kinder. Schule ist, auch wenn sie die längsten Jahre verpflichtend ist, ein Angebot an Kinder und Jugendliche. Nicht erspart bleibt Lehrenden und SchülerInnen Auseinandersetzung, pädagogische Grenzziehung und auch Scheitern. Schule kann aber die Begabungsreserven der ihr anvertrauten Kinder mehr oder weniger entwickeln und mehr oder weniger ausschöpfen. Alle internationalen Bildungsstudien zeigen dieselben Tendenzen auf. Die sechs entscheidenden Faktoren** für Lernerfolg -nach ihrer Bedeutung geordnet- ergeben als wichtigstes Kriterium (1) die Organisation des Schulsystems: den Grad der Selektivität, das heißt gemeinsame oder getrennte Schulform während der Pflichtschulzeit; (2) den sozioökonomischen Status der SchülerInnen: Bildungsabschlüsse der Eltern, Berufspositionen der Eltern, kulturelle Güter im Haushalt; (3) die sozioökonomische Zusammensetzung der Schule; (4) die Schulressourcen; (5) die Schul- beziehungsweise Unterrichtsprozesse und (6) das Schulklima und die Lernumgebung.

Ob eine Schule sozial integrativ ist oder nicht, liegt an der Schulorganisation genauso wie an der Unterrichtsqualität, genauso wie an der Schulraumarchitektur genauso wie an der LehrerInnenausbildung. Das eine ist vom anderen nicht zu trennen. Damit Zukunft nicht von der Herkunft abhängt, braucht es einen Bildungsweg, der nicht sozial selektiert, sondern individuell fördert. Wichtig wäre, Schulen in sozial benachteiligten Bezirken oder Regionen besonders gut auszustatten und zu fördern, damit sie für alle Einkommensschichten attraktiv bleiben, so Schenk.
- Bildungsentscheidung nicht mit zehn Jahren treffen müssen.
Ganztägige Schulformen mit verschränktem Unterricht ausbauen. Eine Schulorganisationsreform aber ohne Änderung der Unterrichtsqualität, der Lehrerausbildung und der Schulraumarchitektur kann nicht gelingen.
Deshalb:
- Intensivierung der pädagogischen Fähigkeiten des Lehrpersonals vom Kindergarten bis zum Gymnasium. Verstärkte Teamarbeit in den Schulen statt Einzelkämpfertum.
- Ein Unterricht,der in heterogenen Gruppen, individuell fördern kann. Der Lernprozesse gestaltet, auf Neugier und Konzentration baut. Von der Defizitorientierung auf Ressourcenorientierung umsteigen. Wo "Fehler
machen" Bestandteil des Lernens ist. Ein Unterricht, der sich an den Lebenswelten der Schüler orientiert und sie nützt. Abgehen von den Ein Stunden-Einheiten: Themenflächen und Fächerauflösung im Kernunterricht.
- Dafür braucht es eine andere Schulraumarchitektur mit flexibleren Räumen, Ecken zum zurückziehen, Orten zum Recherchieren und zum Aufenthalt in Pausen.
- Frühförderung, besonders zwischen drei und sechs Jahren. Der Kindergarten ist auch eine spielerische Bildungseinrichtung. Aufwertung der PädagogInnen in Ausbildung und Bezahlung.
- Schulen in sozial benachteiligten Bezirken oder Regionen besonders gut ausstatten und fördern, damit sie für alle Einkommensschichten attraktiv bleiben.
- Öffnung der Schule hin zum Stadtteil, zur Gemeinde. Für Aktivitäten in Gesundheit oder Erwachsenenbildung, Spracherwerb, Kultur- oder Sportveranstaltungen.

* OECD: Pisa-Studie
** OECD: School Factors Related to Quality and Equity 2005.