SICHTBAR WERDEN II: Armutsbetroffene melden sich zu Wort

Zweites österreichisches Treffen von Menschen mit Armutserfahrungen in Linz. Politik muss Antworten auf konkrete Armutsrealitäten liefern.

(29.10.06). Mit "100 Figuren gegen Armut" machten Armutsbetroffene aus ganz Österreich in einer Aktion am Samstag am Linzer Taubenmarkt auf ihre Situation aufmerksam. Auf den Figuren waren persönliche Lebensgeschichten, Wünsche, Forderungen und aktuelle Daten über steigende Sozialhilfe, Arbeitslosigkeit, prekäre Jobs, Kinderarmut oder die Situation psychisch Kranker zu lesen.

Fotos Aktion "100 Figuren gegen Armut": 1 2 3 4

"Die konkrete Situation von Armutsbetroffenen darf nicht verschwiegen werden", so die TeilnehmerInnen des von der Armutskonferenz organisierten Treffens. "Wir wollen unsere Alltagserfahrungen, die alltäglichen Einschränkungen und Hindernisse, aber auch unser Können, unsere Stärken und unsere Vorschläge für Verbesserungen sichtbar machen."

1 Mio Menschen sind derzeit in Österreich armutsgefährdert, 460.000 leben in manifester Armut. Erfahrungsberichte von Betroffenen zeigen die Auswirkungen mangelnder Existenzsicherung durch die Sozialhilfe, die österreichweit im Zugang und ihren Leistungen verbessert werden muss.

Statt Zugangsbarrieren zum Gesundheitssystem braucht es dringend umfassenden Versicherungsschutz für alle und die längst angekündigte Einführung der e-card auch für SozialhilfebezieherInnen.

Unterhaltszahlungen von Kindern für Alleinerziehende müssen besser gesichert werden.

Der Zugang zum Arbeitsmarkt muss durchlässiger werden. Viele Betroffene machen die Erfahrung "zu gesund für die Pension" aber "zu krank für den Arbeitsmarkt" zu sein. Ihr Wunsch sich - den jeweiligen Möglichkeiten entsprechend - am Erwerbsarbeitsmarkt zu beteiligen, scheitert an einer "alles-oder-nichts"-Politik, der es an der sonst viel zitierten Flexibilität mangelt.

Qualifikationen von Zugewanderten sollen anerkannt und als Potential genützt werden. 38% aller MigrantInnen arbeiten in Jobs, für die sie überqualifiziert sind, vielen wird der Zugang zum Arbeitsmarkt grundsätzlich verweigert.

Hilfesuchende werden von einem Amt zum anderen geschickt. Statt Bürokratiedschungel wünschen sie sich ein One-Desk Prinzip, also Informationen und Hilfestellung an einem Ort.

Weiters wichtig: Sozialanwaltschaften, die soziale Rechte mit Rechtsmittel durchsetzen können und mehr persönliche Assistenzleistungen für Menschen, die auf Beratung und Begleitung angewiesen sind.

An die 100 Erwerbsarbeitslose, MitarbeiterInnen von Straßenzeitungen, psychisch Erkrankte, Menschen mit Behinderungen, Alleinerzieherinnen und MigrantInnen sind bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr drei Tage unter dem Motto "Sichtbar Werden" zusammen gekommen, um gemeinsam über Strategien gegen Armut zu beraten.

Das von der Armutskonferenz koordinierte Projekt versteht sich als Beitrag zu einer umfassenden Strategie der Armutsbekämpfung unter Einbeziehung aller Akteure, wie sie beim europäischen Rat von Nizza von allen europäischen Staatschefs beschlossen wurde.