1. Mindestsicherungs-Zitrone an Ktn. & OÖ: Weniger Leistung für Menschen mit erheblicher Behinderung

Anrechnung der erhöhten Familienbehilfe – Verletzung der Bund-Länder-Vereinbarung

Dafür gibt´s eine Zitrone!

Bundesländer: Kärnten und (aufgrund uneinheitlichen Vollzugs sind Unterschiede nach Bezirken möglich)

Stand April 2014

Die Bund-Länder-Vereinbarung zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung regelt klipp und klar, dass Familienbeihilfe bei der Berechnung von Mindestsicherungsansprüchen nicht berücksichtigt werden darf. OÖ und Kärnten ignorieren diese Bestimmungen allerdings. Sie schreiben in Gesetz bzw. Verordnung vor, dass ausgerechnet bei Menschen mit erheblicher Behinderung, die aufgrund der Schwere ihrer Beeinträchtigung auch als Volljährige Familienbeihilfe und zusätzlich einen Erhöhungsbeitrag erhalten, diese Leistungen de facto auf die Mindestsicherungsleistung angerechnet werden müssen.

„De facto“ deshalb, weil Kärnten und OÖ für volljährige Personen mit Anspruch auf Familienbeihilfe einen niedrigeren Mindeststandard vorsehen – aber auch das gestattet die Bund-Länder-Vereinbarung nicht. Damit sparen die Länder auf dem Rücken der Betroffenen und nehmen ihnen faktisch eine Leistung weg, die vom Bund mit der Absicht gewährt wird, beeinträchtigungsbedingte Mehrkosten zumindest ein Stück weit auszugleichen.

WICHTIG: Im Rahmen dieses Artikels geht es um die Situation von Menschen mit erheblicher Behinderung, die in Privathaushalten leben und eventuell teilstationäre Angebote der sogenannten Behindertenhilfe in Anspruch nehmen (Werkstätten etc.). Für Menschen mit erheblicher Behinderung, die in vollstationärer Betreuung leben (Heime, WGs), gilt eine andere Rechtslage!

Jahrelanger Missstand endlich behoben

hat in der Vergangenheit den Grundbetrag der Familienbeihilfe auf die Bedarfsorientierte Mindestsicherung angerechnet. Ein Gesetzesentwurf, der wie in Kärnten und OÖ die Schaffung eigener, niedrigerer Mindeststandards für volljährige Menschen mit erheblicher Behinderung vorsah, scheiterte im Herbst 2013 an massivem öffentlichem Protest und wurde zurückgezogen. Im Jänner 2014 ging der NÖ Landtag noch einen Schritt weiter: mit einer Gesetzesänderung wurde klargestellt, dass Familienbeihilfe künftig nicht mehr angerechnet werden darf.

Großzügigere Bestimmungen

Wien gewährt Menschen mit erheblicher Behinderung im Rahmen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung immer schon großzügigere Leistungen, als es die Bund-Länder-Vereinbarung zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung vorschreibt.

Rigide Regelungen in anderen Gesetzen

Burgenland, Kärnten, Steiermark

Jene Länder, die die Bund-Länder-Vereinbarung zu Ungunsten von Menschen mit Beeinträchtigung brechen, stehen in der öffentlichen Kritik – zu Recht. Doch die finanzielle Existenzsicherung von Menschen mit Beeinträchtigung, die in Privathaushalten leben, ist nicht in allen Bundesländern (ausschließlich) in der Bedarfsorientierten Mindestsicherung geregelt. Werden soziale Dienste in Anspruch genommen, kommen Chancengleichheits-, sogenannte Behinderten- bzw. Sozialhilfegesetze zur Anwendung. Für diese gelten die Vereinbarungen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung nicht. Die Analyse zeigt: die finanzielle Absicherung von Menschen mit erheblicher Behinderung und Bezug von erhöhter Familienbeihilfe, die aufgrund ihrer Beeinträchtigung soziale Dienste in Anspruch nehmen (müssen), ist prekär. Aufgrund rigider Unterhaltsbestimmungen wohl oft auch im Haushaltskontext.

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Politische Reaktion aus OÖ und Replik

Die erste Mindestsicherungs-Zitrone hat mediales Echo ausgelöst. Unter anderem ist ein Artikel im Online-Standard erschienen.

Lesen Sie hier unsere Replik an das Büro von Oö Soziallandesrätin Getraud Jahn, das im Artikel zitiert wird. Denn anders als im Artikel behauptet, ist die Bund-Länder-Vereinbarung zur Mindestsicherung nicht frei interpretierbar. Und auch die darin kolportierten Zahlen sind der Armutskonferenz nicht nachvollziehbar.

Replik an das Büro von Soziallandesrätin OÖ Gertraud Jahn (pdf)