Dokumentation "Reich an Zeit" - Arbeitszeitverkürzung aus Frauensicht
Bericht von der Veranstaltung der AG Frauen und Armut vom 14.05.2014
Die Arbeitsgruppe Frauen und Armut der Armutskonferenz lud am 14. Mai zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema Arbeitszeitpolitik als ein Stück gesellschaftlicher Veränderung. Es ging dabei um die Frage, ob Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit zu mehr Gleichstellung von Frauen und zu Umverteilung von Zeit, Arbeit und Einkommen zwischen den Geschlechtern, aber auch zwischen Arm und Reich führen kann. Weiters ging es darum zu klären, ob und wie Arbeitszeitverkürzung systemverändernd im Sinne von Transformation des Kapitalismus in Richtung nachhaltigen Wirtschaftens sein könnte. Vorausgeschickt muss werden, dass auch die sehr kompetenten Referentinnen unterschiedliche Einschätzungen bezüglich der Wirksamkeit und Form von Arbeitszeitverkürzung vertraten.
Die Buchautorin und Wirtschaftskorrespondentin der deutschen Tageszeitung taz Ulrike Herrmann, beschäftigte sich mit der Frage „Lässt sich das Wachstum bremsen?Arbeitszeitverkürzung im Kapitalismus“ und kam zu teilweise ernüchternden Folgerungen. Sie vertritt die These, dass die Erfolgsgeschichte des Kapitalismus auf Wirtschaftswachstum beruht und ohne Wirtschaftswachstum der Kapitalismus zum Untergang verurteilt ist. Sie machte aber auch klar, dass diese an und für sich erfreuliche Tatsache unabsehbare Folgen für Frieden und gesellschaftlichen Zusammenhang in unserem kapitalistisch geprägten System haben würde. Denn alle Sicherungssysteme wie Lebensversicherung, Pensionsvorsorge brauchen Wachstum, damit sie funktionieren. Gleichzeitig stellte Ulrike Herrmann fest, dass drei Faktoren dem Wachstum automatisch Grenzen setzen werden: der Klimawandel, die Energieknappheit und die Rohstoffknappheit.
Vor allem aus diesen Gründen wird die Wirtschaft in den Industrieländern nicht weiter wachsen können. Was das allerdings bedeutet, wenn damit das herrschende System kollabiert ist ein kaum vorstellbares Zukunftsszenario.
Dabei bräuchten wir in unseren Breiten für das gute Leben aller kein Wachstum, denn die Glücksforschung hat festgestellt, dass es ab einem Jahreseinkommen von $27.500,-- pro Kopf keine Zunahme des Lebensglücks mehr gibt. Österreich hat ein Durchschnittseinkommen von $ 42.000,- pro Kopf – damit wäre der Punkt, wo das Lebensglück noch zunimmt, weit überschritten. Das Ganze hat allerdings den Haken, dass Einkommen und noch mehr Vermögen weltweit sehr ungleich verteilt ist, da z.B. 1 % der österreichischen Bevölkerung 39% des Vermögens besitzen. Seit 1975 hat sich in Österreich die Wirtschaftsleistung verdoppelt – aber auf die Lebenszufriedenheit hat das wenig Einfluss gehabt. Eine weitere Erkenntnis ist, dass in Deutschland jeder Haushalt durchschnittlich 10.000 Gegenstände besitzt, von denen er 5.000 überhaupt nicht benutzt. Es bräuchte also vernünftigerweise kein Güterwachstum.
Das einzig knappe Gut in unserer Gesellschaft ist die Zeit. Schon John Maynard Keynes war in den 30er Jahren der Meinung, dass wegen des Produktivitätsfortschrittes im Jahr 2030 nur mehr 15 Stunden Erwerbsarbeit geleistet werden müsse. Der Schwiegersohn von Karl Marx Paul Lefargue reklamierte schon im 19. Jahrhundert „das Recht auf Faulheit“. Derzeit ist allerdings das Gegenteil der Fall. Die Lebensarbeitszeit wird nach hinten und nach vorne verlängert. Studierende sollen so früh wie möglich ins Erwerbsleben eintreten und PensionistInnen so lange wie möglich drinnen bleiben.
Es muss allerdings klar gesehen werden, dass Arbeitszeitverkürzungen der Vergangenheit durch Wachstum und Produktivitätszuwachs finanziert wurde. Es muss auch gesehen werden, dass Freizeit keine wirtschaftsfreie Zone ist – je mehr Freizeit, umso mehr wird konsumiert (Tourismus usw.) Es erscheint tragisch, dass die Krise zeigt, dass Wachstum nur durch sinkende Löhne gebremst wird. Griechenland, Spanien usw. sind da Horrorszenarien um zu sehen, was das mit dem Kapitalismus macht.
Derzeit ist es so, dass es viele Vorschläge und Ideen dafür gibt, wie eine ökologische Kreislaufwirtschaft ausschauen könnte, die sinnvollerweise den Kapitalismus ablösen sollte, aber es gibt niemand der an der Brücke des Übergangs vom Kapitalismus zu einer anderen Form des Wirtschaftens baut. Es gibt keine Transformationsforschung, wie der Weg gestaltet werden könnte. Denn derzeit schaut es so aus, dass wenn das Wachstum einbricht, der Kapitalismus zusammenbricht und sich die Gesellschaft auflöst. Denn was geschieht dann z.B. mit den Beschäftigten in der Autoindustrie, von denen der Wohlstand Deutschlands in hohem Maße abhängig ist?
In der darauf folgenden Diskussion mit der Vortragenden war das Thema Umverteilung der Erwerbsarbeit und der unbezahlten Arbeit zwischen Frauen und Männern und der große Bedarf an Care-Ökonomie Thema. Wobei die Referentin die Meinung vertrat, dass Wachstum in diesen Bereichen kein Wirtschaftswachstum im kapitalistischen Sinn sein kann, weil es dabei keine Produktivitätszuwächse gibt. Care-Arbeit lässt sich nicht ökonomisieren und rationalisieren. Deshalb braucht die Gestaltung des Wandels weitreichendere Veränderungen.
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