10. Europäisches Treffen von Menschen mit Armutserfahrungen in Brüssel

Fünf österreichische Delegierte, als VertreterInnen von Initiativen für Erwerbsarbeitslose, AlleinerzieherInnen, Menschen mit Behinderung und Obdachlose / StraßenzeitungsverkäuferInnen, fuhren heuer nach Brüssel

Das "European Meeting of People Experiencing Poverty" besteht seit zehn Jahren und wird vom jeweiligen Staat, der die EU-Frühjahrspräsidentschaft inne hat, mit Unterstützung der Europäischen Kommission und des EAPN (European Anti Poverty Network) organisiert.

Wolfgang Schmidt von der AMSEL (Graz), berichtet über seine Eindrücke und seine Schlussfolgerungen von seiner ersten Teilnahme an diesem Treffen.

"Insgesamt nahmen dort einige hundert Menschen mit Armutserfahrung (engl.: People Experiencing Poverty, kurz: PEP) aus den meisten EU-Mitgliedsländern gemeinsam mit VertreterInnen von nationalen und EU-Institutionen sowie des EAPN und WissenschaftlerInnen teil. Heuriges Thema: Beschäftigung(spolitik).

Im Vorfeld

Im Vorfeld absolvierten wir fünf auf Einladung der Armutskonferenz Österreich einige Treffen. Wir einigten uns auf die Delegierten, erarbeiteten unseren kreativen, möglichst non-verbalen Drei-Minuten-Beitrag (szenische Darstellung mit Standbildern), bekamen auszugsweise inhaltliche Einblicke in EU-Politik-Programme und deren nationale Umsetzung und arbeiteten schließlich inhaltlich zwei Fragen für die Konferenz aus.1 Was die anderen Länder-Delegationen vorbereitend taten und planten, erfuhren wir nicht.2

Die Konferenz

Die zweitägige Konferenz bestand aus mehreren, parallelen Workshops am ersten und deren Zusammenfassungen samt Diskussion am zweiten Tag im Plenum. War am ersten Tag noch einigermaßen gut Zeit, um sich einbringen zu können3 - ÖsterreicherInnen und Deutsche waren übrigens unter den aktivsten Beitragenden -, ähnelten die Zusammenfassungen der Workshops am zweiten Tag dann schon wieder eher offiziellem PolitikerInnen und EU-Sprech; und zum (korrigierenden) Reagieren war so gut wie kein zeitlicher Platz! Dass der ganze Tag ohne schriftliche Unterlagen über die Bühne ging, hat weder eine Zielgerichtetheit, noch ein etwaiges spontanes „Ergebnis“ – welcher Art auch immer – unterstützt.

Die Medien

Ganze zwei MedienvertreterInnen aus Österreich, ORF-Radio-Steiermark und Der Online Standard, waren bei der Konferenz anwesend. Uns Betroffenen gegenüber das bekannte Muster bei ihren Interviews: Eher an Einzelschicksalen und herzerweichenden Gschichteln interessiert ...

Fazit

Wie stellte bereits Kollege Martin Mair (Aktive Arbeitslose) in seinem vorläufigen Bericht leider völlig zutreffend fest: „PolitikerInnen haben das gleiche Blabla wie in Österreich von sich gegeben, sind kaum auf unsere Anliegen eingegangen und haben zum Teil sogar versucht, so zu tun, als würden wir deren Politik unterstützen.“ (wodt: Vereinnahmung der besonderen Art ;-) Weil „das Sammeln von Forderungen/Fragen oder eine Abschlussresolution4 nicht einmal vorgesehen waren, war das Ergebnis gleich Null.“

Für eine Vernetzung untereinander im restlichen Jahr (wenn gerade keine "PEP-Konferenz" stattfindet) gab es ebenso wenig Interesse oder greifbare Fortschritte, wie für (den gemeinsamen Kampf für) mehr Ressourcen dafür – oder auch jeweils für jede einzelne Initiative. Was bleibt ist der positive Umstand, dass es sich um erste Schrittchen einer überfälligen strukturierten Beteiligung der Betroffenen Menschen mit geringem Einkommen auf EU-Ebene handelt."

Weitere Informationen zu "People Experiencing Poverty "

Weitere Informationen zu AMSEL Graz

1Von diesen Fragen haben wir dann nie mehr etwas gehört, auch von keiner der vorbereiteten Fragen der anderen Länder.

2 Anders, wenn auch mit viel weniger teilnehmenden Staaten, beim EU-Projekt: Grassroots Europe for Local Wellbeing“, wo der Stand der Dinge bei den anderen Teil der Vorbereitung des gemeinsamen Treffens ist.

3Meine Strategie dabei war, möglichst nicht die offiziellen Schönsprech-Begriffe zu duplizieren, sondern ihnen andere entgegenzusetzen – sowie möglichst konkrete Ziele / Forderungen zu formulieren:

1. Umverteilung statt Wachstum – für eine Armutsreduzierung jetzt sofort! Umverteilung von bezahlter Arbeit; Umverteilung von unbezahlter Arbeit; Umverteilung von Geld/Kapital: hin zur Erhaltung und Schaffung (ausreichend) bezahlter Arbeitsplätze, weg vom Finanzkasino; Umverteilung von Reichtum; [alles ganz system-immanent ... trotzdem anscheinend zur Zeit nicht durchsetzbar;]

2. Existenzsicherung parallel, gleichzeitig, flankierend zu Beschäftigungspolitik! Weil: Menschenwürde / Menschenrecht auf Existenz; darüber hinaus bestes Gegenmittel gegen Zwang zur Arbeit und gegen schlechte Arbeit(sbedingungen), wie Niedriglohn, prekär, etc.

3.Sanktionszahlungen einzelner Länder bei Nichterreichen der selbstgesteckten Armutsreduktionsziele! Dann wird das Nicht-Erreichen etwas kosten und damit das Erreichen auch wirtschaftlich argumentierbar; wenn schon Menschenwürde / Menschenrechte, Mitgefühl oder Anstand nicht überzeugen ... Außerdem gäbe es dann erstmals nicht nur Sanktionsdrohungen gegen Arme, sondern auch gegen Staaten.

4. Freiwilligkeit der Teilnahme bei arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen! Nicht nur wegen Menschenwürde, sondern auch, um deren bestmögliche Qualität und Bedarfsorientiertheit zu gewährleisten. (Kollege Delegierter Martin Mair rügte diesen meinen „freier Markt“-Ansatz ;-) ... und die „Sozialwirtschaft“ / der „zweite Arbeitsmarkt“ soll nicht, wie in Österreich, zu einem Billiglohn-Bereich in unsrer (Lohn-)Arbeitswelt verkommen. Der irische Delegierte berichtete davon, bei ihnen sei „Sozialwirtschaft“, dass mensch sich selber einen Arbeitsplatz nach eigenen Vorstellungen schafft [wenn ichs richtig verstanden hab ...wodt]

4 Ein Vorschlag für einen spontanen selbstorganisierten Abschlusstext bzgl. „Abschaffung der Armut durch Umverteilung des Reichtums jetzt sofort“ [wodt sinngemäß] schaffte es (auch) nicht bis zur Beschlussfassung – mangels Unterstützung, Beteiligung und/oder unterschiedlicher inhaltlicher Auffassungen („Wir wollen ja nicht den Reichtum abschaffen ...“) der Delegierten. Dieser Vorschlag wurde vorbildlich initiiert, mit uns ÖsterreicherInnen abgestimmt, demokratisch eingebracht und zur Diskussion gestellt von unseren deutschen FreundInnen, im Plenum unvergesslich vorgetragen vom Delegierten Jens E. Schröter.