"Als hätte ich nie gearbeitet"

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Stefanie muss Mindestsicherung beantragen. Die 600 Euro Arbeitslosengeld reichen nicht zum Überleben. Dass es so weit kommt, hätte sie nicht gedacht. Sie hat ja gearbeitet, nur waren es schlecht bezahlte Jobs. Und die falschen Arbeitsverträge. Gabi Horak hat sie bei der Antragstellung begleitet.

Ich treffe Stefanie, so will sie genannt werden, vor der Servicestelle der Wiener MA 40. Sie wird heute Mindestsicherung beantragen, die ihr seit einem Monat zusteht. Es war eine Überwindung. „Ich hab anderen immer gesagt: Verzichtet auf nichts, holt euch Beihilfen, die euch zustehen. Aber jetzt mein Weg zum Sozialamt fühlt sich echt scheiße an.“ Stefanie ist 35 Jahre alt, hat zwei abgeschlossene Studien und seit sie 25 war hat sie sich selbst erhalten. Doch es waren schlecht bezahlte Jobs, befristete Anstellungen oder auf Werkvertrag. „Ich wollte nie auf Werkvertrag arbeiten, aber bei den Projektjobs an der Uni gibt es keine Anstellung.“

Im ersten Stock der MA40 angekommen muss zuerst das Antragsformular ausgefüllt werden. Die Stühle im dafür vorgesehenen Bereich sind am Boden festgeschraubt. Ein Security-Mann wandert, die Hände in die Hüften gestemmt, durch die Wartezone. Die „Höhe des derzeitigen Einkommens“ ist auszufüllen: Stefanie bekommt 20,66 Euro am Tag Arbeitslosengeld. Die letzte befristete Stelle ist im Februar ausgelaufen und deshalb hat sie zum ersten Mal Arbeitslosengeld beantragt. „Als ich den Bescheid bekommen hab war ich schockiert, dass es nur 600 Euro sind. Ich hab zehn Jahre lang gearbeitet und hätte nie gedacht, dass ich nun Mindestsicherung brauch zum Aufstocken.“ Einkünfte aus Werkverträgen waren zu gering, weshalb sie nicht zählen. Die Bemessungsgrundlage war deshalb nur 1.200 Euro brutto aus den Angestelltenverhältnissen. Vom AMS-Geld hat sie bisher aber noch nichts bekommen. Den AMS-Antrag hat sie Ende Februar abgegeben, Anfang März kam der Bescheid. „Das kommt angeblich erst am 7. oder 8. des nächsten Monats, blöd nur dass Miete und so schon früher abgebucht werden.“ Stefanie widmet sich wieder dem Antragsformular, gibt ihre Vermögenswerte an – 2.000 Euro Erspartes hat sie am Konto. „Wenn ich Mindestsicherung bekomme, dann so viel, als hätte ich nie gearbeitet. Da sieht man, wie schlecht bezahlt die Jobs sind. Ich bin wirklich zornig.“

Nächster Halt: Kopierzone. Das Amt braucht Kopien von Pass, Geburtsurkunde, Mietvertrag, AMS-Bescheid und Vermögensnachweise. Mit dem ausgefüllten Formular und den Kopien geht es in die Warteschleife vor der „Anmeldung“, der Blick ist zur seitlichen Fensterfront gerichtet. „Kein Ausgang“ steht auf einer bis zum Boden reichenden Verglasung. Weiß Stefanies Umfeld, dass sie wenig Arbeitslose bekommt und nun Mindestsicherung beantragt? „Ich erzähle es allen – wenn auch nicht mit Stolz. Aber sie sollen wissen, wovon ich leben muss.“ Alte Schulkolleginnen, Bekannte und Freundinnen verdienen gut, kaufen sich Wohnungen, fahren auf Urlaub. „Da frag ich mich: Was hab ich falsch gemacht? Ich hab immer gearbeitet, war immer sparsam. Ich dachte nicht, dass es mich so schnell betrifft.“ Letzte Woche war sie für ein großes Familientreffen zuhause. Natürlich kam die Frage der Verwandtschaft: „Und, was machst du jetzt?“. Stefanie fiel die Antwort nicht leicht: „Ich bin seit einem Monat arbeitslos.“ Wenn sie dann erzählt, wie wenig Geld sie bekommt stellt sich bald die Frage: Ist da ein würdevolles Leben möglich?

Bei der Anmeldung gibt Stefanie ihren Antrag ab und es geht zurück in den Warteraum. Ein Gespräch bei einem Berater steht an, der den Antrag dann bearbeitet. Während wir wieder warten erzählt Stefanie, dass sie eh noch Glück hat, denn sie zahlt für ihre kleine Wohnung nur 370 Euro Miete. „Das ist sehr günstig und rettet mich derzeit. Wenn ich in einer normal teuren Wohnung leben würde, wüsste ich nicht, wie das gehen sollte. Sogar die geförderten Wohnungen sind mittlerweile so teuer wie am freien Markt.“ Ihre Nummer wird angezeigt, der Berater wartet. Er studiert die Unterlagen und macht eine Liste, was noch alles nachzureichen ist: Kontoauszug mit den 2.000 Euro Erspartem. Mit der Bestätigung über den Antrag zur Mindestsicherung kann Stefanie Wohnbeihilfe beantragen. Eine Bestätigung, wieviel die Wohnungsmiete aktuell beträgt, braucht er vorher aber auch noch. Die Mindestsicherung – in Stefanies Fall die Aufstockung ihrer 600 Euro Arbeitslose auf 837 Euro – gilt ab Antragstellung. Wann diese jedoch überwiesen wird, kann er nicht sagen. „Wir müssen den Antrag innerhalb von drei Monaten bearbeiten.“ Aber wie lange wird es voraussichtlich dauern? „Das ist abhängig vom Referenten, aber mein Kollege ist eh schnell.“ Außerdem „ist es bei ihnen eh nicht so schlimm, weil sie Geld am Konto haben und somit ein bissl Puffer.“ Was machen Menschen ohne Rücklagen? Diese Frage denken wir beide leise.

Veröffentlicht am 04.05.2016.