Neuanfang für alle

Österreich hinkt mit seinem Insolvenzrecht anderen Ländern weit hinterher.

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ein Kommentar von Clemens Mitterlehner (Geschäftsführer der ASB Schuldnerberatungen GmbH)

War 1995 die Einführung des Privatkonkurses in Österreich im europäischen Vergleich innovativ und ambitioniert, lassen seit vielen Jahren substantielle Reformen auf sich warten. In dieser Ausgabe unserer Zeitschrift „das budget“ finden Sie die Ansätze vieler Länder. Ideen, Möglichkeiten und gute Beispiele, wie ein modernes Insolvenzrecht funktionieren kann und bei jenen ankommt, die es dringend brauchen – bei den überschuldeten Menschen und ihren Angehörigen.

Auf den ersten Blick ist das Insolvenzrecht ein sozialpolitisches Instrument. Es geht darum, überschuldeten Menschen eine Chance zu geben, ihre Schulden loszuwerden. Auf den zweiten Blick ist allerdings klar zu erkennen, dass das Insolvenzrecht eine Materie ist, an der viele Interessensgruppen zerren. Ein Seilziehen mit vier Seil-Enden. Die sozial-, rechts- und wirtschaftspolitischen Argumente auf einen Nenner zu bringen, gleicht der unlösbaren Quadratur des Kreises.

Laut einer Schätzung des Gläubigerschutzverbandes KSV gibt es in Österreich rund 115.000 Menschen, die überschuldet sind und eine Schuldenregulierung in Form einer Privatinsolvenz nötig hätten. Multipliziert mit der durchschnittlichen Haushaltsgröße sind damit zumindest 250.000 Menschen in Österreich direkt von Überschuldung betroffen. Jährlich können derzeit aber nur rund 9.000 Menschen die Privatinsolvenz zur Regelung ihrer Überschuldung in Anspruch nehmen. Alle anderen scheitern an den Voraussetzungen, die unser antiquiertes und dennoch tapfer verteidigtes Insolvenzrecht bereithält.

Beim Recht auf ein Girokonto konnten wir miterleben, dass sich die Rechtslage in Österreich erst bewegte, als die EU die Initiative ergriff. Natürlich sind wir froh, dass heuer dieser sozialpolitische Meilenstein gesetzt wurde, getreu dem Motto: „Besser spät als nie“. Allerdings sollten wir uns beim Insolvenzrecht nicht auf die langsam mahlenden Mühlen der europäischen Gesetzgebung verlassen. Daher drängen wir unermüdlich und bei jeder Gelegenheit auf dringend nötige Reformen in Österreich.

Erst im November erschien das Dokument „Proposal for a directive on Insolvency, Restructuring and Second Chance” der Europäischen Kommission. Der Vorschlag setzt sich mit den Insolvenzen gescheiterter UnternehmerInnen auseinander, klammert aber „VerbraucherInnen-Insolvenzen“ definitiv aus. Lediglich eine unverbindliche Empfehlung der Kommission findet sich darin, dass das Insolvenzrecht der Mitgliedsstaaten auch für überschuldete Nicht-UnternehmerInnen verkürzt und erleichtert werden sollte.

Ich möchte das klarer und verbindlicher formulieren: Die Privatinsolvenz muss für alle überschuldeten Menschen einen wirtschaftlichen Neustart ermöglichen. Hürden wie die Mindestquote, die lange Verfahrensdauer und unverhältnismäßige Sperrfristen müssen beseitigt werden. Davon profitieren nicht nur die betroffenen Menschen, sondern auch Gläubiger, Arbeitgeber und der Staat.

Denn: Geht’s den Menschen gut, geht’s der Wirtschaft gut.

(aus: dasbudget Nr. 78, Dezember 2016, siehe: http://www.schuldenberatung.at/fachpublikum/dasbudget/)

Veröffentlicht am 16.01.2017