Aus der KulturPASSage: Verlorene Geschäftskultur

Kulturpass-Besitzer_innen berichten in der Straßenzeitung Augustin

Im Jüdischen Museum ist noch bis 19. November die Ausstellung "Kauft bei Juden! Geschichte einer Wiener Geschäftskultur" zu sehen. Jüdische Kaufleute begannen zuerst in der Vorstadt kleine Geschäfte
zu gründen, wo es vorwiegend Textilien zu kaufen gab. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden prominente Kaufhäuser wie Gerngross, Goldman & Salatsch, Knize usw. gegründet. Vorzugsweise waren deren Adressen auf der Mariahilfer und der Kärntner Straße. Aber auch Architekten, Stadtplaner, Grafiker und Kostümbildner fassten Fuß. Sogar k. u. k. Hoflieferanten gab es, sie alle waren sehr geachtet. Es gab zwar auch schon vor dem Aufkommen des Nationalsozialismus Antisemitismus, doch als 1938 Hitler und seine Truppen einmarschierten, wurden viele von den großartigen Menschen vertrieben, viele verloren alles und mussten fliehen oder kamen in KZs. Die meisten kamen 1945 und danach nicht mehr zurück. Aber einige nach Österreich Zurückgekehrte und jüdische Zuwanderer entwickelten das Textilviertel nach 1945 neu. Wie zum Beispiel Schöps oder Tuchhaus Silesia.

Mich hat besonders beeindruckt, dass aus den kleinen Geschäften die großen Kaufhäuser wurden. Interessant finde ich, dass erst viel später das Sortiment über Textilien hinaus erweitert wurde. In der Ausstellung kann man Kleidungsstücke, Grafiken, Fotografien von Geschäften und deren Besitzern, private Gegenstände, Gemälde, Verpackungsmaterial aus verschiedenen Kaufhäusern und Einrichtungsgegenstände aus den Geschäften betrachten. Im Zuge der Ausstellung wird im Museumscafe Eskeles eine historische Vitrine aufgestellt. Dieses kleine Kaufhaus lädt die Besucher_innen ein, Wiener Produkte mit historischem Bezug kennenzulernen. Die junge Wiener Künstlerin Kathi Hofer wurde vom Jüdischen Museum eingeladen, Motive der Ausstellung aufzugreifen und so "mittels einer künstlerischen Intervention einen anderen Blick auf das Ausgestellte zu ermöglichen". Ihre Installation "Epilog" ist ebenfalls im Museum zu sehen.

Die Ausstellung soll das wieder bewusst machen, was viele Menschen wie ich über die Wiener Geschäfte und Kaufhäuser noch nie gehört haben: von den Leistungen der vielen Juden und Jüdinnen, die am Aufbau der Stadt maßgeblich teilhatten, vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1938. Eine Schande für die Stadt Wien ist, dass sie sich erst seit 20 Jahren erinnnert.

Die vielen Eindrücke versetzten mich in meine Kindheit zurück - wie oft waren wir in der Judengasse Kleidung kaufen, da es schöne Stücke gab und noch dazu preiswert, oder wie wir vor Weihnachten auf die Mariahilfer
Straße gingen zum Gerngross, das war immer wunderschön. So schön diese Ausstellung war, so zornig ging ich hinaus. Wieso kann man so etwas nicht in der Schule lernen? Vielleicht würden dann mehr Menschen anders denken über Jüd_innen und Migrant_innen. Auch viele Politiker_innen sollten sich diese Ausstellung ansehen. Was mich besonders erfreut hat: dass unser Bundespräsident Alexander van der Bellen vor vielen Gästen die Ausstellung eröffnet hatte.

Traude Lehner, Straßenzeitung Augustin im August 2017

Veröffentlicht am 29. September 2017