Die Zeit ist reif für neue MUSTER

MUSTERprozesse über Inhalt und Grenzen von sozialen Menschenrechten – am Beispiel Existenzsicherung

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„Jeder hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.“ (Art. 28, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte)

Dieser Tage ist ein Dokument der Armutskonferenz zum Thema „Mit Menschenrechten gegen Armut“ erschienen, der Menschenrechtsbeirat der Stadt Graz will sich dem Thema ebenfalls schwerpunktmäßig widmen. Auch die vorjährige Richtertagung widmete sich dem Thema Armut und Grundrechte und über die Volksanwaltschaft laufen diesbezügliche Diskussionsprozesse. Im 21. Jahrhundert würde es uns gut anstehen, etwa eine Existenzsicherung nicht als Staatliche Almosen, sondern als Staaten-verpflichtendes Recht zu betrachten.

Österreich hat sich zu zahlreichen Verträgen bekannt: Auf globaler Ebene die altehrwürdige „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ (AEMR) und der jüngere, sehr weitgehende „Internationalen Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte“. Auf europäischer Ebene die Europäischen Sozialcharta, die soziale Schwester der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Grundrechte-Charta. All diese Pakte gelten hierzulande zweifelsfrei, mit teilweise anderen Prozess- und Beschwerdemöglichkeiten, aber ihrem Wesen nach auf höchster (Gesetzes-)Ebene. In all diesen Konvoluten befinden sich auch soziale Menschenrechte. Diese wurden bewusst mit dem Ziel aufgenommen, „... dass einer Welt, in der die Menschen ... Freiheit von Furcht und Not genießen, das höchste Streben des Menschen gilt“, wie es etwa die Präambel der AEMR verkündet.

Um dies zu erreichen, braucht es Musterprozesse, die es gemeinsam mit Jurist_innen zu führen gilt. Etwa der oft geäußerte Gedanke, dass ein Staat vollkommen frei in der Gestaltung einer Existenzsicherung sei, soll widerlegt werden, der Vergangenheit angehören. Damit können auch (menschen-)rechtliche Standards, etwa für die Bedarfsorientierte Mindestsicherung gewonnen werden, die dann auch nicht mehr von politischen Wetterlagen in Landtagen und Nationalrat abhängen. Der Artikel 25 der AEMR ist etwa gar nicht so unkonkret: „Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen...“

Es wäre ein historisch zu nennender Schritt, neben den bekannteren Freiheits- und politischen auch die „sozialen“ Menschenrechte ernst zu nehmen und mit juristischem Leben zu erfüllen, sprich beispielhaft auszujudizieren! Freilich werden parallel auch sozialpolitische Forderungen nicht obsolet werden. Zumal auch die Menschenrechte und deren Interpretation Teil unserer gesellschaftlichen Machtverhältnisse sind.

Wolfgang Schmidt, Verein AMSEL aus der “Menschenrechts-Stadt“ Graz

PS: … kann das wirklich sein, dass gegen die Registrierkassenpflicht geklagt wird, gegen das NULL-Euro „Mindestsicherungs“-VwGH-Urteil (kürzlich in Salzburg) nicht? (Die drei Antragsteller erachteten die Registrierkassenpflicht als nachteiligen Eingriff das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Eigentums sowie das Grundrecht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung. [Der Klage wurde NICHT stattgegeben. … aber: trotzdem, versucht haben sie es …)]

Beitrag zuerst erschienen in den „Nachrichten und Stellungnahmen der Kath. Sozialakademie Österreichs“ (06/2016)

Veröffentlicht am 19.07.2016