Sozialhilfe keine krisenfeste Absicherung

Armutsnetzwerk Oberösterreich zeigt Schwächen auf

(22.7.2020) Besonders rasch haben sich Oberösterreich und Niederösterreich an die Umsetzung des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes gemacht. In Oberösterreich zeigt sich jetzt eindrücklich, was die neue Sozialhilfe nicht macht, nämlich Menschen, die ohnehin wenig haben, krisenfest abzusichern. Gerade während der COVID-19-Krise feiert die sozialstaatliche Sicherung und Unterstützung ein Revival, weil sich gezeigt hat, dass Markt und Eigenverantwortung nämlich nicht alles regeln können. Diese Gesundheitskrise mag eine Ausnahme in unser aller Leben darstellen – Firmenpleiten, Jobabbau, Arbeitsplatzverlust, Krankheit, Arbeitseinkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle gehören für viele in unserer Gesellschaft allerdings zum Alltag.

ExpertInnen ignoriert

Schon vor Inkrafttreten des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes (beschlossen in der letzten Legislatuperiode) und des Ausführungsgesetzes in Oberösterreich haben zahlreiche soziale Einrichtungen auf deren Schwächen hingewiesen und Verbesserungsvorschläge gemacht. Sie sind nämlich ExpertInnen für die Bedürfnisse von Menschen, die an oder unter der Armutsgefährdungsschwelle leben müssen. Diese Vorschläge wurden kaum angenommen, nur Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes haben Änderungen erwirkt.

Das Oö. Sozialhilfe-Ausführungsgesetz ist ein für die armutsbetroffenen Menschen schlechtes Gesetz, dessen Auswirkungen man mittlerweile in der Praxis bemerkt: Geringere Richtsätze für Erwachsene und Kinder, Anrechnung der Wohnbeihilfe, eine uneinheitliche Vollzugspraxis der Bezirksverwaltungsbehörden bei der Berechnung des Wohnaufwandes von Haushaltsgemeinschaften. Dies führt dazu, dass Haushalte mit SozialhilfebezieherInnen teilweise um mehrere hundert Euro monatlich weniger haben im Vergleich zur bedarfsorientierten Mindestsicherung.

“Diese Verschlechterungen erzeugen massiven Druck für Betroffene. Bereits das Grundsatzgesetz hat auf ein wesentliches Ziel verzichtet, das noch das Basiselement der ehemaligen Mindestsicherung war, nämlich Armut zu verhindern. Eine starke Mindestsicherung wäre ein solider Schutz gegen Armut, eine wichtige Investition in soziale Gerechtigkeit, Zukunftsperspektiven und Demokratie, mindestens so wichtig wie der 5G-Ausbau und gerade in der derzeitigen COVID-19-Krise elementar", meint Josef Pürmayr, vom Armutsnetzwerk OÖ.

Rauer Ton in einzelnen Behörden

Neu an der Sozialhilfe ist zudem, dass sich auch der Ton in einigen Bezirksverwaltungsbehörden gegenüber Sozialhilfe-BezieherInnen geändert hat. In den Beratungsstellen sozialer Einrichtungen berichten KlientInnen, unabhängig von Herkunft, Staatsbürgerschaft, mit oder ohne Migrationshintergrund, den oftmals „harschen“ Umgang mit KlientInnen und fragwürdige Ausdrucksweisen durch ReferentInnen. So wurde einer Person, die ihre Mutter pflegt, mitgeteilt, sie solle doch „hackeln“ gehen, wenn sie mehr Geld brauchen würde. Von AntragstellerInnen wurden Unterlagen eingefordert, die nachgewiesener Weise zur Zeit des Lockdowns nicht erhältlich waren, wie z.B. vom AMS oder von den Deutschkursen.

Wohnen - Unterschiedliche Leistungen in den Bezirken für Haushaltsgemeinschaften

Auch bei Haushaltsgemeinschaften, also beispielsweise Ehepaaren agieren die Bezirksverwaltungsbehörden unterschiedlich, nämlich bei den Leistungen für den Wohnaufwand. Wenn beispielsweise die Ehefrau kein Einkommen außer der Sozialhilfe hat, wenn sie nicht im Mietvertrag steht oder weil getrennte Konten vorliegen und die Miete nur vom Konto des Ehemannes abgebucht wird, wird die Leistung für die Ehefrau wegen angeblich fehlenden Wohnaufwands um 25% gekürzt. Das ist ein großer Unterschied zur bisherigen Mindestsicherung. Es ist nicht nachvollziehbar, warum ein Ehegatte gar keinen Wohnungsaufwand haben sollte, nur weil er nicht im Mietvertrag steht, kein Einkommen hat oder die Miete vom Konto des anderen Ehegatten abgebucht wird. Gerade Menschen an oder unter der Armutsgefährdungsschwelle (das sind derzeit 1.929 Euro für einen Haushalt mit 2 Erwachsenen) müssen für das Wohnen einen extrem hohen Anteil ihres Einkommens ausgeben. 5% der OberösterreicherInnen haben einen Wohnkostenanteil über 40%, 8% haben noch immer eine starke Belastung, insgesamt betrifft das 171.000 Menschen in unserem Bundesland (EU-SILC 2017 – 2019).

“Für Sozialhilfe-BezieherInnen darf es doch keinen Unterschied machen, ob sie in Perg oder Linz zuhause sind, um adäquate Unterstützung zu bekommen und damit ihre Wohnung halten zu können”, meint Pürmayr.

Wohnen bleibt in der neuen Sozialhilfe überhaupt das Negativthema. Denn nun wird auch die Wohnbeihilfe auf die Leistungen der Sozialhilfe angerechnet, ebenfalls ein Unterschied zu “alten” Mindestsicherung.

Zuverdienst in Tagesstruktur für Wohnungslose Menschen abgeschafft

Die Zuverdienstgrenze in der Mindestsicherungsverordnung (17 Prozent der Nettoausgleichszulage oder ca. 130 Euro im Monat) wurde mit dem neuen Sozialhilfe-Ausführungsgesetz im Oktober 2019 praktisch abgeschafft. Das bedeutet, dass Sozialhilfe-EmpfängerInnen - die tageweise etwa im Trödlerladen der Arge für Obdachlose mitarbeiten - das Einkommen zur Gänze von der Sozialhilfe abgezogen wird. Dieser Punkt muss dringend saniert werden, da die Heranführung der Zielgruppe an den Arbeitsmarkt massiv erschwert wird und viele so in der Armutsfalle landen.

Auch Menschen mit Beeinträchtigungen, die niederschwellig in sogenannten Tagesstrukturen der Fähigkeitsorientierten Aktivität beschäftigt werden, wird nun ihr “Taschengeld” auf die Mindestsicherung angerechnet.

Acht Forderungen des Armutsnetzwerks OÖ

an die oö. Landesregierung und den oö. Landtag zur Verbesserung der Sozialhilfe neu

  1. Keine Anrechnung der Wohnbeihilfe
  2. Sachgemäße Berechnung des Wohnaufwandes bei Haushaltsgemeinschaft nach dem Vorbild der Bedarfsorientierten Mindestsicherung
  3. Wesentliche Verbesserungen im Vollzug (einheitlich, Service- und Kundenorientierung)
  4. Freibetrag für Taschengeld aus der Fähigkeitsorientierten Aktivität wieder einführen
  5. Freibetrag für Zuverdienst in Tagesstrukturen für wohnungslose Menschen wieder einführen
  6. Erhöhung der Richtsätze für Kinder
  7. Keine Anrechnung der Einmalzahlung für Arbeitslose (EUR 450) auf die Leistungen aus der Sozialhilfe für AufstockerInnen
  8. Menschen in Wohngemeinschaften nach dem Chancengleichheitsgesetz als “alleinstehend” anzusehen und eine entsprechende Verordnung dafür zu schaffen