19 Punkte für eine neue Mindestsicherung, die Existenz, Chancen und Teilhabe sichert.

Effektive Soforthilfe, Ausbildung ermöglichen, kürzere Entscheidungsfristen, besserer Vollzug, Unterhaltsreform, Heilbehelfe, Dienstleistungen und Alltagshilfen

(18.12.2019) „Wir brauchen eine neue Mindestsicherung, die Existenz, Chancen und Teilhabe sichert“, fordert die Armutskonferenz Bund und Länder zu einer ordentlichen Sanierung auf. „Kein Herumdoktern und Klein-Klein an einem großen Schaden“. „Ziele eines modernen sozialen Netzes“, so Sozialexperte Martin Schenk, „sollten sein: Grundrechte statt Almosen, Chancen statt Abstieg, sozialer Ausgleich statt Spaltung, Achtung statt Beschämung“. Die Armutskonferenz legt 19 Punkte für eine neue Mindestsicherung vor, die eine effektive Soforthilfe, kürzere Entscheidungsfristen, Dienstleistungen und Alltagshilfen, Ausbildungsoptionen, Unterhaltsreform, gesetzliche Verankerung bei Krankheiten und tatsächlichen Wohnbedarf umfassen. Die in der Armutskonferenz zusammengeschlossenen Initiativen begleiten und betreuen über 500.000 Hilfesuchende im Jahr.

Effektive Soforthilfe

Wer schnell hilft, hilft doppelt. Die Soforthilfe funktioniert aber nicht in der Sozialhilfe. Die Armutskonferenz schlägt daher eine Präzisierung für eine effektive Soforthilfe vor:

  • bei Bekanntwerden einer Notlage muss die Behörde von Amts wegen Hilfe leisten.
  • Überbrückungshilfe (bis über Antrag entschieden wird) muss in Fällen, in denen Personen keinerlei sonstige Leistung erhalten, gewährleistet sein.

Die Soforthilfe muss nicht nur die Leistungen für den Lebensunterhalt und den Wohnbedarf umfassen, sondern auch den erforderlichen Schutz bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung.

Ausbildung möglich machen

Grundsatz „Ausbildung vor workfare“: Personen mit maximal Pflichtschulabschluss sollen auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Möglichkeit haben, während einer zielstrebig verfolgten Ausbildung, die die realen Chancen auf eine nachhaltige und existenz-sichernde Eingliederung in den Arbeitsmarkt erhöht, Mindestsicherung zu beziehen.

Gute Verfahrensbestimmungen und verbesserter Vollzug

Gute Verfahrensbestimmungen können schnellere Hilfe und Sicherheit ermöglichen. Das heißt gesetzlich:

  • eine 1-monatige Entscheidungsfrist einführen, 3 Monate sind bei Notsituationen zu lange.
  • Bei Anträgen auf Kann-Leistungen: Verpflichtung zur schriftlichen Entscheidung mit Begründung.

Barrieren auf den Ämtern verlängern die Notsituation, die Hilfe wird umso schwieriger und teurer. Auch das beste Gesetz hilft nicht, wenn es keinen gesetzeskonformen Vollzug gibt:

  • Anträge: auch via Internet-Download, mehrsprachig, in leichter Sprache.
  • Übernahmebestätigungen bzw. Eingangsstempel von Amts wegen und nicht bloß auf Verlangen.
  • Bescheide nachvollziehbar und verstehbar.
  • Prinzip der Amtswegigkeit wahrnehmen – sozialarbeiterisches und barrierefreies Verständnis der Manuduktionspflicht.

Hilfen, Angebote & Dienstleistungen für Lebensalltag

Es braucht Angebote zur Bearbeitung multipler Vermittlungshindernisse, die in einer ersten Phase vorrangig die „Lebensprobleme“ bearbeiten: Kinderbetreuung, Gesundheit, Wohnungssicherung, Verschuldung, Einsamkeit,…

Gesetzliche Verankerung der Krankenversicherung

Verankerung des Anspruchs auf Einbeziehung in die gesetzliche Krankenversicherung im Gesetz, nicht in einer auf ein Jahr befristeten Verordnung.

Grundrechte statt Almosen: Rechtsansprüche auf Sonderbedarfe

Erhöhter Regelbedarf, z.B. durch Erkrankung oder besondere Lebenslagen (kein alltäglicher Bedarf, z.B. Geburt eines Kindes)

  • Eine klare gesetzliche Regelung, wann und in welchem Umfang Sonderleistungen zustehen, schafft eine klare Erwartbarkeit für Antragsteller.
  • Im Zusammenhang mit Einbezug in die Krankenversicherung: Rechtsanspruch auf Übernahme von Selbstbehalten und Restkosten im Zusammenhang mit Heilbehelfen und Hilfsmitteln.

Wohnbedarf absichern - tatsächliche Miete übernehmen

Übernahme der tatsächlichen, ortsüblichen Wohnkosten (unter Einrechnung einer eventuellen Wohnbeihilfe). Die Übernahme von Anmietungs- und Ausstattungskosten sind wesentliche Grundlagen zur Armutsbekämpfung. Energiekosten müssen dem Wohnbedarf zugerechnet und abgedeckt werden.

Neu-Regelung bei Unterhaltspflichten.

Zeitgemäße Definition der "vorrangigen Leistungen Dritter": Unterhaltsverpflichtungen zwischen geschiedenen Ehepaaren, erwachsenen Kindern und ihren Eltern bzw. sogar zwischen Enkeln und ihren Großeltern müssen häufig gerichtlich geltend gemacht werden. Diese Regelungen sind mit einem modernen Sozialstaatsverständnis nicht zu vereinbaren.

Evidenzbasierte Gesetzgebung

Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse und Studien, sowie Fachwissen aus der sozialen Praxis muss ernstgenommen und im Gesetzgebungsverfahren berücksichtig und einbezogen werden - entsprechend der menschenrechtlichen Verpflichtung ist der neueste Stand der Wissenschaft zu berücksichtigen (Artikel 15 WSK-Pakt, BGBl. 590/1978).


Weitere Informationen: 19 Punkte für eine neue Mindestsicherung