Armutskonferenz an Außenminister Kurz: Undurchdacht, europafeindlich und einseitig

Schulterschluss mit UK problematisch / Fairerweise Kosten hier und Gesamtrechnung zu berücksichtigen / Situation von Auslandösterreichern oft prekär

„Wenn man die 200 Mio Euro Familienbeihilfe, die an Kinder im Ausland gehen, ins Treffen führt, muss man fairerweise auch die Kosten gegenrechnen, die die Kinder verursacht hätten, wären sie in Österreich: der Kindergartenbesuch, die Schulkosten, Deutschkurse und Integrationsmaßnahmen“, analysiert die Armutskonferenz, das Netzwerk von über 40 Initiativen aus sozialen Organisationen, Selbsthilfeinitiativen, Wissenschaft, Bildungseinrichtungen und Armutsbetroffenen. Die in der Armutskonferenz zusammengeschlossenen sozialen Organisationen beraten, unterstützen und begleiten über 500.000 Menschen im Jahr. „Und wenn man ökonomisch argumentiert, dann muss man seriöserweise das gesamte Bild abrufen.“ Migranten gehören bei den Sozialleistungen zu den Nettozahlern. Nicht-österreichische Staatsbürger zahlten demnach 10,7 Prozent der Beiträge in Pensions-, Kranken-, Unfall-, Arbeitslosenversicherung und den FLAF ein, erhielten aber lediglich 6,2 Prozent der Leistungen.

Das trifft gerade auch auf die Familienbeihlife zu: Nicht-österreichische Staatsbürger beziehen unterdurchschnittlich häufig Familienbeihilfe. Dies entspricht 10,0 Prozent des Gesamtbezuges und liegt somit unter dem Ausländer-Anteil an der Gesamtbevölkerung (11,0 Prozent). Berücksichtigt man nicht nur Transferzahlungen und Sozialversicherungsbeiträge, sondern auch alle anderen Steuern, so brachte jeder Zuwandererhaushalt der Staatskasse 2400 Euro pro Jahr. Bei gemischten Haushalten (ein Österreicher, ein Zuwanderer) lag der Nettoeffekt sogar bei 6400 Euro. (OECD 2013).


Auslandsösterreicher stärker von Arbeitslosigkeit betroffen


Insgesamt 264.199 österreichische Staatsbürger lebten im Jahr 2011 im EU-Ausland sowie in den EFTA-Ländern, 164.000 in Deutschland, 38.000 in Schweiz, 17.000 in UK. Auslandsösterreicher erleiden in Krisenländern allerdings ein klassisches Migrantenschicksal und verlieren Jobs früher als Einheimische: In Spanien, Irland und Griechenland ist der Anteil der Erwerbslosen unter den Auswanderern höher als im EU-Schnitt oder in Österreich. In Ungarn, Griechenland und Belgien ist mehr als die Hälfte der dort lebenden Österreicher arbeitslos. In einigen „neuen“ EU-Ländern ist der Anteil österreichischer Staatsbürger mit unbekanntem Erwerbsstatus relativ hoch, etwa in Tschechien, Estland, Polen und der Slowakei.

Schulterschluss mit UK problematisch: europafeindlich und einseitig

Der Schulterschluss mit Großbritannien ist problematisch, weil europafeindlich, einseitig und ein Signal für mehr soziale Spaltung in Europa. UK hat sich gegen die sozialen Teile des Lissabon Vertrags gewehrt, das Armutsreduzierungsziel der EU torpediert, Finanzregulierungen verhindert, die Kommerzialisierung sozialer Dienste wie Pflege oder Bildung vorangetrieben, und nicht an der Reduzierung sozialer Ungleichheit in Europa mitgearbeitet, die mit ein Grund für die europäische Binnenmigration ist.

Kleingeist führt da nicht weiter

„Die Zukunft Europas wird sozial sein oder sie wird nicht sein", kommentiert die Armutskonferenz die steigenden sozialen Ungleichheiten in Europa. „Ein soziales Europa ist möglich und steht nicht im Widerspruch zu wirtschaftlichem Erfolg“. Wer sozialer Polarisierung mit all ihren negativen Folgen für die ganze Gesellschaft gegensteuern will, muss nicht nur für die Stabilisierung des Finanz- und Bankensektors eintreten, sondern auch für die Stabilisierung des sozialen Ausgleichs.
 Die Schritte dorthin hat Großbritannien bisher immer verhindert, jetzt auch gemeinsam mit Österreich?, fragt die Armutskonferenz. „Kleingeist führt da jedenfalls nicht weiter. Wir müssen das im größeren Kontext gestalten“:


+ Soziale europäische Standards könnten in Korridoren definiert werden. Damit es zu keinem „Down Sizing“ innerhalb Europas kommt und die Entwicklung der sozialen Systeme bedarfsgerecht erfolgt. 


+ Die zur Zeit einzigen direkten sozialpolitischen Instrumente der Europäischen Union - die Strukturfonds - müssen wesentlich stärker für Armutsbekämpfung genutzt und in den Ausbau sozialer Dienste investiert werden. 


+ Indikatoren waren und sind ein mächtiges Steuerungsinstrument europäischer Politiken. Bessere Zielsteuerung braucht auch starke soziale Indikatoren (Scoreboards) zu Arbeitslosigkeit, Qualität der Jobs und zur sozialen Entwicklung, aber auch zur Struktur von Steuern (Taxes). Entscheidungen zur Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes müssten dann einem „Stresstest“ im Hinblick auf die Erreichung der hier entwickelten Indikatoren sowie die Einhaltung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union unterzogen werden. Werden diese verletzt, müssten die vorgeschlagenen Maßnahmen zurückgenommen, abgefedert oder andere entwickelt werden.