SozialRechtsNetz - Laufende Verfahren Dezember 2020

Exemplarische Einblicke in die strategische Klagsführung

Oberösterreich: Das SozialRechtsNetz bekämpft Kürzungen für Bewohner*innen von Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe

In OÖ haben Bewohner*innen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe sowie Einrichtungen nach dem Chancengleichheitsgesetz (ChG) vor der Einführung des Sozialhilfe am 1. Jänner 2020 den Alleinstehenden-Richtsatz abzüglich des Unterkunftsaufwands, der vom Land für Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe festgelegt wurde, erhalten. Nach den neuen Richtsätzen - 70% für die ersten beiden und 45% ab der dritten Person im Haushalt – kommt es zu Kürzungen in der Höhe von 167 € bzw. 127 €.

Das SozialRechtsNetz unterstützt eine strategische Klagsführung, dass Menschen, die in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe oder nach dem ChG leben keine Haushaltsgemeinschaft bilden, so dass der Alleinstehenden-Richtsatz zur Anwendung kommen muss.


Niederösterreich: Das SozialRechtsNetz bekämpft die Verpflichtung zu Unterhaltsklagen von erwachsenen Kindern gegenüber deren Eltern

Im vorliegenden Rechtsfall in NÖ wird eine Person von ihren Eltern und ihrer Schwester rund um die Uhr betreut und gepflegt, denn mit dem Pflegegeld der Stufe 4 allein könnte sie diese aufwändige Betreuung und Pflege nicht finanzieren. Die Mutter arbeitet in einer Wäscherei und verdient knapp über € 1.000-, der Vater bezieht Notstandshilfe. Die Eltern müssen auch für ihren Bruder sorgen.

Nach einem Rechtsmittel spricht ihr das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich für 2020 eine Geldleistung in Höhe von € 606,93 monatlich zu (LVwG-AV-91/001-2020). Nach Abzug der Fixkosten für das Wohnen würden ihr € 304,35 verbleiben.

Der NÖ Landesregierung bekämpft dieses Urteil beim Verwaltungsgerichtshof. Die Klientin müsse ihre Eltern zuerst auf Unterhalt verklagen, bevor ihr eine Geldleistung zugesprochen werde, als „selbsterhaltungsunfähiges Kind“ sei sie verpflichtet, einen Antrag auf Mitversicherung in der Krankenversicherung zu stellen, und ihr Wohnbedarf sei grundsätzlich in Form einer Sachleistung zu decken. Außerdem sei der vom Landesverwaltungsgericht berechnete Betrag um € 80,- zu hoch. Der Rechnung müsse der Richtsatz und nicht der reale Wohnungsaufwand zugrunde gelegt werden.

Das SozialRechtsNetz unterstützt die Revisionsbeantwortung.


Tirol #1: Das SozialRechtsNetz unterstützt eine Frau bei Anspruch auf volle Mindestsicherung – Durchsetzung von Unterhaltsanspruch aufgrund von Gewalttätigkeit des Mannes nicht zumutbar

Im vorliegenden Fall in Tirol war der Expartner und Vater des Kindes gegenüber Frau und Kind bereits mehrfach gewalttätig, die Antragstellerin befindet sich daher auch bei anerkannten Opferschutzeinrichtungen in Beratung. Das Sozialamt kürzt nunmehr BMS-Richtsatz, da sich die Antragstellerin wegen der Gewalterfahrung weigert, den Unterhalt über die Kinder- und Jugendhilfe geltend zu machen - sie befürchtet neuerliche Gewalt durch den ehem. Lebensgefährten, wenn sie gerichtliche Schritte unternimmt. Aus diesem Grund sind die Schritte zur Geltendmachung des Unterhalts aus ihrer Sicht unzumutbar. Das LVwG hat trotz Antrag nicht mündlich verhandelt und lapidar festgestellt, dass die Unterhaltsverfolgung möglich und zumutbar und die Kürzung daher gerechtfertigt war.

Das SozialRechtsNetz unterstützt eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zur Frage, ob die Verfolgung von Unterhalt unter den konkreten Umständen zumutbar ist.


Tirol #2: Das SozialRechtsNetz unterstützt eine Person, die Hilfe bei Behördenwegen braucht, der die Notstandshilfe verweigert wurde

In diesem Fall in Tirol wurde einer Person, die Hilfe be Behördenwegen braucht die Notstandshilfe verweigert, weil die Behörde die Schwierigkeiten, Behördengänge zu erledigen, nicht anerkannte. Das Landesverwaltungsgericht sah dies ebenso.

Das SozialRechtsNetz hat erfolgreich (VwGH 9.6.2020, Ra 2019/10/0195) eine außerordentliche Revision unterstützt. Demnach hat sich das LVwG nicht hinreichend damit beschäftigt, aus welchen Gründen die Geltendmachung von Ansprüchen nach dem AlVG unterlassen wurde. Dies wäre aber geboten gewesen, da im Rahmen der Beschwerde dargelegt wurde, dass der Anspruchsverlust nicht „selbstverschuldet“ eingetreten wäre. Im Übrigen hätte sich das LvwG mit Ausnahmeregelungen für Personen in besonders berücksichtigungswürdigen Situationen (§ 10 Abs. 3, 49 Abs. 2, ua. AlVG) auseinandersetzen müssen; es ist sohin zu prüfen, aus welchen Gründen die hilfesuchende Person „bestimmten Anforderungen nachgekommen ist oder eben auch nicht.“ Eine neuerliche Entscheidung des LVwG in der Sache wird demnächst erwartet.


Steiermark: Das SozialRechtsNetz bekämpft Kürzungen der Mindestsicherung aufgrund vermeintlicher Unterhaltszahlungen

In der Steiermark wurde einem 20-jährigen bulgarischen Antragsteller, der seit 2003 in Österreich ist, die Mindestsicherung verwehrt, da er nicht gleichgestellt war. Eine Mitgliedsorganisation der Armutskonferenz in Graz half beim Verfassen der Beschwerde. Das Verfahren war beim Landesverwaltungsgericht (LvwG) ein Jahr lang anhängig. In dieser Zeit finanzierte sich der Antragsteller durch Zahlungen seiner Mutter, welche diese wiederum nur durch Kredit finanzieren konnte. Das LvwG stellte nach einem Jahr fest, dass der Antragsteller daueraufenthaltsberechtigt ist und somit Anspruch auf Mindestsicherung hat. Gleichzeitig kürzte das LvwG die Mindestsicherung um einen beträchtlichen Teil, nämlich um die Zahlungen der Mutter, da diese als Unterhaltsleistung zu werten seien.

Das SozialRechtsNetz unterstützt eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zur Frage, ob die Zahlungen der Mutter tatsächlich als Unterhaltszahlungen auf die Mindestsicherung anrechenbar sind.