SozialrechtsNetz bekämpft Verwehrung des Behindertenzuschlags in der Sozialhilfe bei Menschen mit Behinderung in Niederösterreich

(14.06.2023) Menschen mit Behinderung wird in Niederösterreich der Behindertenzuschlag aus der Sozialhilfe verwehrt, nur weil sie – obwohl eine Behinderung von 50 % nachgewiesen ist – keinen gültigen Behindertenpass vorlegen. Der Verwaltungsgerichtshof bestätigt die formale Spitzfindigkeit. Menschen mit Behinderung müssen damit besondere formale Hürden auf sich nehmen, um existenzsichernde Unterstützung zu erhalten.

Ausgangslage

Eine dreiundzwanzigjährige armutsgefährdete Frau mit Behinderung aus Niederösterreich stellt am 04.02.2022 via Papierformular unter Zuhilfenahme des Informationsblattes zur Sozialhilfe einen Antrag auf Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhaltes und auf Leistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs. Das Informationsblatt weist unter anderem auch auf einen Zuschlag für Personen mit Behinderung hin. Daher legt die Antragstellerin dem Ansuchen auch die Bestätigung über den Bezug der erhöhten Familienbeihilfe samt dem Gutachten über den Grad der Behinderung von 50 % bei. Die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf gewährt zwar die Sozialhilfe ab 07.02.2022, gewährt Frau Sonja Schneider (Name durch die Redaktion geändert) den Behindertenzuschlag zur Sozialhilfe allerdings nicht – die Begründung, sie habe dem Antrag keinen Behindertenpass beigelegt. Auf dem Formular zur Beantragung der NÖ Sozialhilfe wird tatsächlich der Behindertenpass über ein Ankreuzfeld angefragt, allerdings ohne Information darüber, warum diese Angabe erforderlich ist.

Ein in Folge des Antrages ergangenes Schreiben der Behörde, mit welchem Unterlagen nachgefordert wurden, verlangte die Vorlage des Behindertenpasses ebenso wenig, vielmehr enthält es lediglich eine Aufforderung die Weitergewährung der erhöhten Familienbeihilfe durch das Finanzamt nach Verfahrensabschluss bekanntzugeben. Frau Schneider war es somit unmöglich zu erkennen, dass die Vorlage des Bezugs der erhöhten Familienbeihilfe die Berechnungs- und Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung des Behindertenzuschlages in Niederösterreich nicht erfüllt.

Das NÖ SAG nennt in § 14 die Inhaberschaft des Behindertenpasses unter Bezugnahme auf § 40 Bundesbehindertengesetz, welcher seinerseits als Nachweis für die Ausstellung des Behindertenpasses neben anderen Urkunden die Vorlage der Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe vorsieht.

Unterstützung durch SozialrechtsNetz

Frau Schneider bringt gegen die mit Bescheid verfügte Nichtzuerkennung des Behindertenzuschlages Beschwerde ein. Durch einen Zufall hatte sie erfahren, dass der Behindertenpass für die Gewährung des Behindertenzuschusses notwendig ist und hat im noch laufenden Behördenverfahren den Behindertenpass beantragt. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens wurde mangels rückwirkender Erstellungsmöglichkeit der Behindertenpass erst mit Gültigkeit ab 30.03.2022 ausgestellt. Den neu ausgestellten Behindertenpass legte Frau Schneider dem LvWG am 07.06.2022 vor.

Das LvWG hebt den Bescheid auf und legt das Gesetz so aus, dass die Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung des Behindertenzuschlages nach dem NÖ SAG nicht ab dem Ausstellungsdatum des Behindertenpasses eintritt, sondern mit dem Gültigkeitstag des Behindertenpasses. Frau Schneider wird der Behindertenzuschlag damit schließlich ab 30.03.2022 gewährt - für die Zeiten davor, ab Antragstellung im Ausmaß von 51 Tagen, geht die Armutsbetroffene aber - trotz unveränderter gesundheitlicher Umstände und des gleichen Grades der Behinderung – aufgrund dieser bürokratischen Spitzfindigkeit und des misslungenen Gesetzes leer aus.

Das SozialrechtsNetz bekämpft gemeinsam mit Frau Schneider die Entscheidung vor dem VwGH. Dieser bestätigt das Urteil, da er keine Bedenken habe, wenn das Landesgericht davon ausgeht, dass der Zuschlag ab Gültigkeit des Behindertenpasses zusteht - dies sieht er als gesetzeszweckentsprechend an. Dass das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz es grundsätzlich zulassen würde, das Vorliegen einer Behinderung auch durch eine andere Urkunde als einen gültigen Behindertenpass nachzuweisen, hindere das NÖ SAG nicht eine strenge Formalität vorzusehen – dabei beruft sich der VwGH auf den VfGH, der (beim Wiener MindestsicherungsG) die landesgesetzliche Regelung der Bindung des Zuschlags an einen Behindertenpass als innerhalb des Regelungsspielraumes des Grundsatzgesetzes erachtete. Nach Ansicht des VwGH sei es der eindeutige Wortlaut des Gesetzes, der keine Interpretation zulasse. Schließlich hält er fest, dass eine materiell-rechtliche Beratung der Parteien in § 13a AVG nicht vorgesehen sei, weshalb die Behörde keine Verpflichtung trifft der Partei zu erklären, dass die Vorlage eines Behindertenpasses Voraussetzung für die Zuschlagserteilung ist und sie die Person mit Behinderung auch nicht auf die zwecklose Antragstellung hinweisen muss.

Zusammenfassung

Der Fall zeigt in eindringlicher Deutlichkeit, welche Schikanen Menschen mit Behinderung in NÖ durchlaufen müssen, um zu ihrem Recht zu kommen. Den meisten antragstellenden Menschen wird es kaum möglich sein, zusätzliche Recherchen anzustellen, insbesondere wenn ein Formular samt Informationsblatt von der Behörde bereitgestellt wird.

Hätte Frau Schneider Kenntnis darüber gehabt, dass sie einen gültigen Behindertenpass haben muss, hätte sie diesen zeitgleich mit dem Antrag auf Sozialhilfe stellen können. Der Behindertenpass wäre dann am gleichen Tag gültig gewesen und der Behindertenzuschuss hätte laut Entscheidung der Gerichte mit dem Datum der Antragstellung auf Sozialhilfe gewährt werden müssen. Menschen mit Behinderung die Geltendmachung ihrer Ansprüche zu erschweren, widerspricht der Fürsorgepflicht des Staates. Darüber hinaus geben wir zu bedenken, dass viele Menschen mit Behinderung zudem die Ausstellung eines Behindertenpasses zur Vermeidung von Stigmatisierung meiden wollen. Hier könnte eine Gesetzesänderung große Abhilfe bringen. Aufgrund der Unterstützung durch das SozialrechtsNetz konnte die Betroffene über die Volksanwaltschaft zumindest mittlerweile erwirken, dass das Informationsblatt Sozialhilfe nach dem NÖ SAG, das Informationsblatt Sozialhilfe NÖ SAG leicht lesen (A2) und das Antragsformular auf Sozialhilfe nach dem NÖ SAG insofern angepasst wurden, als nunmehr der Hinweis enthalten ist, dass Zuschläge für Personen mit Behinderung dann zustehen können, wenn sie Inhaber eines Behindertenpasses sind. Zudem findet sich der Hinweis auch im Fließtext der Informationsseite sowie auf der Unterseite zur Höhe des Richtsatzes.