Hartz IV in Österreich: Die Geschichte von Berta, Heinz und Michael – Vom Fall ins Bodenlose

Armutskonferenz warnt: Werden die Pläne der Streichung der Notstandshilfe umgesetzt, werden Krankheit und Verlust des Arbeitsplatzes künftig für viele Menschen zu einem Fall ins Bodenlose

(27.04.2018) Hartz IV für Österreich mit Abschaffung der Notstandshilfe und Kürzungen bei Arbeitssuchenden würde die Zahl der Personen in sozialer Not massiv erhöhen. 160.000 Menschen werden in die Einkommensarmut getrieben*. „Alle diese Vorschläge führen dazu, dass soziale Unsicherheit bis weit in die unteren Mittelschichten hoch getrieben wird – und sich Gegenwart und Zukunft für Hunderttausende verbaut. Reformen wären sinnvoll, wenn sie versuchen würden, die Existenz und Chancen zu sichern, aber nicht Leute weiter in den Abgrund zu treiben“, so die Armutskonferenz, die anhand von zwei Bildergeschichten die konkreten Auswirkungen sichtbar macht.
Was bedeuten die Vorhaben, den Arbeitslosengeldbezug bei Krankheit nicht zu verlängern, die Notstandshilfe abzuschaffen und die Mindestsicherung weiter zu kürzen? Wir begleiten und betreuen 500.000 Menschen im Jahr. Wir wissen, was Maßnahmen anrichten können. Im Alltag. Konkret. Real.

Berta und Heinz: Fall ins Bodenlose

Berta G, 51 Jahre, und ihr Ehemann Heinz G., 53 Jahre, seit Jahrzehnten bei Modine in Kötschach-Mauthen beschäftigt, verlieren Ende 2017 durch die Werkschließung ihren Arbeitsplatz. Berta und Heinz leben in einem kleinen Einfamilienhaus, das sie sich hübsch hergerichtet haben. Die Zahlungen aus dem Sozialplan erlaubten Familie G. während der Zeit des Arbeitslosengeldbezugs ihren Lebensstandard aufrechtzuerhalten. In dieser strukturschwachen Region gibt es kaum Beschäftigungsmöglichkeiten schon gar nicht für ältere Arbeitslose. Die Aktion 20.000, die ihnen eine neue Chance gegeben hätte, ist eingestellt worden. Jetzt drohen: kein Job, dafür HartzIV und 1 Euro Jobs als Zwangsmaßnahme. Berta und Heinz bewerben sich jahrelang erfolglos um eine neue Beschäftigung. Inzwischen ist die maximale Bezugsdauer des Arbeitslosengelds überschritten. Die Notstandshilfe wurde abgeschafft, daher ist Familie G zum Überleben auf die Mindestsicherung angewiesen. Durch die Vermögensanrechnung in der Mindestsicherung verlieren sie Monat für Monat ein Stück von ihrem kleinen Haus, das langsam in den Besitz des Landes übergeht. Mit der Mindestsicherung erwerben sie auch keine Pensionsversicherungszeiten. Herr und Frau G. haben ab ihrem 15. Lebensjahr gearbeitet. Sie haben zuerst eine Lehre absolviert und dann als FacharbeiterInnen bei Modine bescheidenen Wohlstand erworben. Nun verlieren sie ihr Haus, das sie ihren beiden erwachsenen Kindern vererben wollten. Die fehlenden Jahre in der Pensionsversicherung werden zu sehr geringen Pensionen führen. Berta und Heinz sind von Altersarmut bedroht.

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Michael: Krankheit und Verlust des Arbeitsplatzes

Werden die Pläne umgesetzt, werden Krankheit und Verlust des Arbeitsplatzes künftig für viele Menschen zu einem Fall ins Bodenlose. Michael N., 42 Jahre, verheiratet, Vater von 4 Kindern, lebt mit seiner Familie in Salzburg. Als hoch spezialisierter Techniker arbeitet er international in Projekten und verdient € 6.000 brutto. Ende 2017 wird bei ihm Krebs diagnostiziert. Nach mehreren Krankenständen verliert Michael N. seinen gut bezahlten Job. Familie N lebt in einer Mietwohnung in Salzburg, Eigentum ist für die Großfamilie angesichts der hohen Preise selbst bei seinem Einkommen nicht leistbar. Die Miete beträgt € 1300 pro Monat. Die Familie hat Ersparnisse von € 70.000.

Die Krebserkrankung erweist sich als hartnäckig, Michael N. versucht zwar immer wieder eine neue Beschäftigung zu finden, muss sich aber schonen und seine Kraft der Bekämpfung des Krebs widmen. Ehefrau Sabine N. pflegt ihren Mann und zieht die 4 Kinder groß, sie ergattert trotz all ihrer Energie immer nur prekäre Jobs nebenbei. Während einer der Chemotherapien läuft der Bezug des Arbeitslosengeldes aus. Nun erlebt Familie N. eine unangenehme Überraschung: die Notstandshilfe ist abgeschafft. Die Familie erhält keine Mindestsicherung, sondern muss zuerst fast ihr gesamtes Vermögen verbrauchen. Und selbst dann könnte sie wegen der Deckelung der Mindestsicherung auf € 1500 gerade einmal die Miete bezahlen. Ernährung, Bekleidung und Heizung werden zum Luxus. Die älteste Tochter Sophie, 16, eine gute Schülerin, hält den drückenden Existenzstress nicht mehr aus, verlässt die Schule und beginnt sich mit Hilfsjobs durchzuschlagen.

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Ein starkes soziales Netz stützt und schützt die Mittelschichten. Es kann nicht Ziel sein, möglichst viele Leute in die Mindestsicherung zu drängen, was beispielsweise die Abschaffung der Notstandshilfe bewirken würde. Wenn die Zahl der Bezieher im untersten Netz steigt, stimmt in anderen Bereichen der Gesellschaft etwas nicht: Langzeitarbeitslosigkeit Älterer, Pflegenotstand, prekäre nichtexistenzsichernde Jobs, explodierende Wohnkosten, Burn Out, mangelnde soziale Aufstiegschancen im Bildungssystem. Es ist notwendig, dort etwas zu tun, wo die vorgelagerten Systeme nicht funktionieren.

Statt Menschen zu Almosenempfängern zu machen, gehören die Gesetze so geändert, dass sie Armut bekämpfen und nicht die Leute noch ärmer machen", so die Armutskonferenz abschließend.

* Simulation of an application of the Hartz-IV reform in Austria, Michael Fuchs, Katarina Hollan, Katrin Gasior.


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